Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
es wäre eine sehr schlechte Idee, nicht zu kommen. Wenn du am Tag der Verhandlung nämlich nicht im Gerichtssaal erscheinst, werde ich den Richter ersuchen, dich von den Carabinieri vorführen zu lassen. Nur damit du es weißt.«
Schweigen. Hintergrundgeräusche. Ich hatte den Eindruck, ihn keuchen zu hören, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Wie ich mir eine Sekunde lang einbildete, die Mordgedanken lesen zu können, die ihm wahrscheinlich im Kopf umgingen. Ich beschloss, die Gelegenheit zu nützen.
»So, und wenn du mich jetzt bitte entschuldigst, aber ich habe gerade einen Mandanten da...«
Er wachte just in diesem Moment wieder auf. Er sagte, ich wisse wohl nicht, mit wem ich es zu tun hätte, und dass ich mich bloß in Acht nehmen solle. Das war das Letzte, was ich hörte, bevor ich ziemlich unkontrolliert den Hörer auf die Gabel knallte. So, wie jemand auf der Flucht vor einem Verfolger die Tür hinter sich zuknallt.
»Alles in Ordnung, Avvocato?«, fragte mich mein Klient, und sein dummes Gesicht verriet dabei einen Funken Neugier, ja sogar einen Anflug von Besorgnis.
»Alles in Ordnung«, erwiderte ich und musste mich zusammennehmen, um keine Erklärungen abzugeben, denn das wäre, wie ich sehr gut wusste, nichts als Wichtigtuerei gewesen.
Von wegen alles in Ordnung. Ich merkte, dass meine Hände zitterten und presste sie auf die Schreibtischplatte, um vor Herrn Martinelli keine Schau abzuziehen.
Was hatte ich mir da bloß eingebrockt, verdammt noch mal?
36
A ls ich an diesem Abend das Büro verließ, sah ich mich erst einmal um. Rechts, links; einen Blick zum Tor des alten Palazzo gegenüber, für den Fall, dass sich der von Macrì unverzüglich entsandte Killer dort versteckt hatte und mir auflauerte.
Dann zuckte ich mit den Schultern und machte mich auf den Heimweg.
Allmählich bist du reif für die Psychiatrie, Abteilung hoffnungslose Fälle, sagte ich mir leise, um die Sache herunterzuspielen. In Wahrheit war mir ziemlich elend zumute. Ich fühlte mich unsicher und verletzlich, und das störte mich. Was konnte mir dieser Arsch denn schon antun? Er konnte mich doch nicht wirklich erschießen lassen. Das konnte er doch nicht, oder? Er hatte Theater gemacht aus Angst, selbst in Schwierigkeiten zu geraten – denn dass er Dreck am Stecken hatte und sich deshalb bedroht fühlte, war offensichtlich. Was aber tut ein Mafioso, wenn er sich bedroht fühlt? Er reagiert, logisch.
Unter derlei wilden Gedankensprüngen kam ich schließlich zu Hause an. Dann hing es mir zum Hals raus. Ein Glück, dass mir alles irgendwann zum Hals raushängt. Selbst die Angst. Genau besehen, konnten sie sich zum Teufel scheren, Macrì und seine Spezis, dachte ich.
Am nächsten Morgen wollte ich für alle Fälle kurz bei Tancredi anrufen.
37
T ancredi trat an diesem Vormittag als Zeuge auf. Wieder mal ein Prozess wegen Vergewaltigung eines kleinen Mädchens.
Wieder mal. Wie leicht sich das sagt.
Ich hatte mich schon oft gefragt, wie Carmelo es schaffte, sich tagtäglich mit diesem Dreck zu befassen, und das schon so lange. Wenn ich, was bisweilen vorkam, die Nebenklage für ein missbrauchtes Kind vertrat, hatte ich immer das Gefühl, im Stockfinsteren zu tappen, durch Flure voller Insekten und anderer ekliger Tiere. Man sieht sie nicht, aber sie sind da, du riechst sie, du spürst, wie sie um deine Füße herumkrabbeln, fühlst etwas Glitschiges im Gesicht.
Einmal hatte ich ihn sogar gefragt, wie zum Teufel er das schaffe.
Ein düsterer, metallischer Schatten war über sein Gesicht gehuscht, blitzartig, kaum wahrnehmbar und fast Furcht einflößend.
Als es vorbei war, tat er, als denke er nach, um mir schließlich eine ganz banale, einfallslose Antwort zu geben. Etwas in der Art wie, irgendwer müsse sie ja erledigen, die Drecksarbeit, und es gebe nicht viele Polizisten, die Lust hätten, in diesem Dezernat zu arbeiten, et cetera.
Ich betrat den Gerichtssaal. Tancredi saß im Zeugenstand, und ein dicker, junger Rechtsanwalt, den ich nicht kannte, unterzog ihn einem Kreuzverhör.
Ich ließ mich auf einem Stuhl nieder, um auf ihn zu warten. Und nebenbei gesagt auch, um das Spektakel zu genießen.
»Als der Staatsanwalt Sie vorhin befragte, sagten Sie aus, mein Mandant hätte in der Nähe der Grundschule Kindern aufgelauert usw. Erklären Sie uns doch bitte mal, wie Sie darauf kommen, dass er ihnen auflauerte . Sie gebrauchen da ja einen sehr präzisen Begriff, und ich hätte gerne, dass Sie den
Weitere Kostenlose Bücher