Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Verdächtigen in flagranti dabei erwischen, wie er sexuellen Missbrauch begeht, so verhaften wir ihn selbstverständlich an Ort und Stelle. Aber das ist etwas anderes.«
Der Dicke versuchte zwar noch mal, eine Polemik darüber zu entfachen, dass dies persönliche Ansichten seien, aber diesmal brauchte der Staatsanwalt erst gar nicht einzugreifen. Der Richter erkundigte sich in alles andere als freundlichem Ton, ob er weitere Fragen zur Sache hätte, andernfalls sei das Kreuzverhör hiermit beendet. Der Verteidiger brummte noch ein paar unverständliche Worte und setzte sich. Die Staatsanwaltschaft hatte keine weiteren Fragen an Tancredi, und so wurde er vom Richter dankend entlassen.
»Den Kaffee trinken wir aber draußen«, sagte Tancredi. Also verließen wir das Gericht und schlenderten durch die Straßen des Stadtteils Libertà. Unterwegs erzählte ich ihm von den jüngsten Entwicklungen und insbesondere von dem Telefonat mit meinem sympathischen Kollegen. Tancredi hörte mir kommentarlos zu; nur als ich ihm sagte, der Typ habe mir gedroht, schnitt er eine Grimasse.
»Hast du dir die Sache gut überlegt?«, fragte er mich, als wir kurz darauf in einer Bar, in der Schmuggler, Nutten, Rechtsanwälte und Polizisten verkehrten, unseren Kaffee tranken.
Es gefiel mir nicht, dass er mir diese Frage stellte. Genauso gut hätte er fragen können, ob ich die Sache nicht lieber an den Nagel hängen wolle.
Ich meinte, da gebe es nicht viel zu überlegen. Wenn Macrì der Vorladung folgte und vor Gericht erschien, würde ich ihn befragen und versuchen, das ein oder andere aus ihm herauszukitzeln. Wenn er nicht erschien, würde ich ihn von den Carabinieri holen lassen. Mir sei durchaus klar, dass ich damit in ein Wespennest stäche, aber ich könne es nun einmal nicht ändern.
»Allerdings könntest du mir noch mal ein bisschen unter die Arme greifen.«
»Ja, ich könnte dir Personenschutz geben, für den Fall, dass die kalabresische Mafia ihre Killer auf dich ansetzt.«
»Witzbold. Ich brauche noch ein paar Informationen über diesen Macrì.«
»Informationen welcher Art?«
»Material für die Befragung. Irgendwas, was ich überraschend aus dem Ärmel ziehen kann, um ihn in die Enge zu treiben. Vergiss nicht, dass ich ziemlich ins Blaue hineinfrage, und wenn dieser Kerl dem Gericht überzeugende Antworten liefert, ist es aus mit meinem Prozess.«
Tancredi blieb stehen, zündete sein Zigarillo an und sah mir in die Augen.
»Also eins muss man ja sagen: Du scheust auch vor nichts zurück.«
Ich sagte nichts. Recht hatte er ja.
38
A m nächsten Morgen schneite Tancredi unangekündigt in die Kanzlei herein.
Er kam in mein Zimmer, setzte sich und sah mich wortlos an.
»Und?«
»Ich weiß nicht, bist du ein Glückspilz oder das Gegenteil davon?«
»Was soll das heißen?«
»Weißt du, dass es ein Zentralarchiv der Hotelmeldescheine gibt?«
»Nein, ehrlich gesagt nicht. Wo gibt es das?«
»Im EDV-Zentrum des Innenministeriums. Dort sind die Personendaten sämtlicher Hotel- und Pensionsgäste aus ganz Italien gespeichert. Ich hab auf gut Glück ein Suchformular auf den Namen unseres Freundes Macrì ausgefüllt, und rate mal, was dabei herausgekommen ist?«
»Du wirst es mir bestimmt gleich sagen.«
»Ja, das werde ich. Der gute Mann ist viel unterwegs, es gibt eine ganze Menge Einträge auf seinen Namen – auch in Bari. Er hat mehrmals in einem hiesigen Hotel übernachtet. Vor und nach Paolicellis Verhaftung. Die Übernachtungen nach der Verhaftung interessieren uns wenig. Die davor schon mehr – insbesondere zwei dieser Übernachtungen.«
»Warum?«
»Dreimal darfst du raten, wer in diesen beiden Nächten im selben Hotel übernachtet hat?«
»Sag du es mir, ich hab ein Brett vorm Kopf.«
»Romanazzi, Luca. Und genau der hat auch in der Nacht unmittelbar nach Paolicellis Verhaftung dort übernachtet.«
Verdammt Schwein gehabt! Das sagte ich nicht, aber ich dachte es laut und vernehmlich.
»Das ist wirklich eine Bombennachricht.«
»Ja. Jetzt musst du dir nur noch überlegen, wie du sie verwendest.«
»Inwiefern?«
»Insofern, als du schlecht hergehen und vor Gericht erzählen kannst, ein mit dir befreundeter Polizeiinspektor habe in deinem Auftrag unerlaubte Nachforschungen im Datenzentrum des Innenministeriums angestellt.«
»Stimmt.«
»Finde eine Möglichkeit, es ihn während seiner Vernehmung selbst sagen zu lassen. Tu so, als hättest du einen Privatdetektiv engagiert, dem es gelungen ist,
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