Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
recht weit von Ihrem Arbeitsplatz entfernt, zum Verteidiger ernannt, und zwar aus dringendem Anlass: Die Polizei hat vor kurzem ihren Ehemann festgenommen; er soll ein schwerwiegendes Delikt begangen haben. Sie stürzen nach Bari, nehmen Kontakt zu dem Inhaftierten auf, planen seine Verteidigung und lernen bei Ihrem zweiten Besuch auch die Ehefrau kennen. Warum man ausgerechnet Sie zum Verteidiger ernannt hat, interessiert Sie wenig, ja, Sie schneiden das Thema erst gar nicht an, weder mit der Frau Ihres Mandanten noch mit ihm selbst. Ist das richtig?«
Er tat, als denke er nach, und ließ etwa zwanzig Sekunden verstreichen.
»Kann auch sein, dass wir darüber gesprochen haben. Ich erinnere mich nicht, aber ausgeschlossen ist es nicht. Wahrscheinlich haben die beiden mir gesagt, dass ich ihnen empfohlen wurde.«
»Hatten Sie denn früher auch schon Mandanten in Bari?«
»Da bin ich mir nicht sicher, aber ich denke doch, ja.«
»Sie haben also viele Mandanten?«
»Ja, ziemlich viele.«
»Eine gut laufende Kanzlei.«
»Ich kann mich nicht beklagen.«
»Wie viele Angestellte beschäftigen Sie denn in Ihrer Kanzlei?«
»Ich habe einen Sekretär und behelfe mir im Übrigen selbst, das war mir schon immer das Liebste.«
Aha, und dieser Sekretär ist wohl der Bodyguard, den du heute mitgebracht hast, habe ich Recht?
»Wie lautet die Adresse Ihrer Kanzlei?«
Der vorsitzende Richter fuhr dazwischen. Zu Recht.
»Herr Verteidiger, was hat die Adresse der Kanzlei des Zeugen mit dem Gegenstand der Vernehmung zu tun?«
Ich hatte den Eindruck, eine winzige Regung in Macrìs Gesicht wahrzunehmen, so etwas wie den Ansatz eines boshaften Grinsens.
»Herr Vorsitzender, mir ist klar, dass diese Frage zunächst verblüfft. Aber sie dient mir dazu, andere Dinge zu klären – Dinge, die in engerer Verbindung zum Gegenstand der Vernehmung stehen.«
Mirenghi verdrehte kaum merklich die Augen. Girardi schien die Szene aufmerksam zu verfolgen. Russo – und das war wirklich außergewöhnlich – schlief noch nicht.
»Gut, dann fahren Sie fort, Avvocato. Aber vergessen Sie nicht, dass an diesem Morgen noch andere Verfahren anstehen und wir irgendwann auch unsere Familien wiedersehen möchten.«
»Danke, Herr Vorsitzender.« Ich wandte mich erneut an Macrì. Der Anflug eines Grinsens war aus seinem Gesicht verschwunden, vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet. »Würden Sie uns also bitte die Adresse Ihrer Kanzlei verraten... und wo wir schon dabei sind, vielleicht auch gleich Telefon- und Faxnummer?«
Diesmal drehte er sich nach mir um, bevor er antwortete. Sein Blick spiegelte echten Hass. Versuch’s doch, sagte ich mir in Gedanken. Versuch’s doch, du Dreckskerl.
Er nannte die Adresse seiner Kanzlei. Und nach kurzem Zögern, das bestimmt nur mir auffiel, sagte er, er habe keinen Festnetzanschluss, er telefoniere ausschließlich mit dem Handy, das sei ihm lieber.
»Verzeihung, wenn ich Sie recht verstehe, besitzen Sie also weder einen Festnetzanschluss noch ein Faxgerät?«
»Wie ich Ihnen schon sagte, ich benütze lieber das Mobiltelefon«, er betonte jetzt jedes einzelne Wort und hatte große Mühe, seinen Ärger zu verbergen, »und zwar für alles. Wir haben Computer, die mit Modem-Steckkarten fürs Internet ausgestattet sind, und wenn wir mal ein Fax schicken oder empfangen müssen, behelfen wir uns mit Rechner und Drucker.«
Nachdem er meine Frage beantwortet hatte, wandte er sich an den Richter.
»Herr Vorsitzender, ich weiß nicht, worauf der Verteidiger hinauswill, und es interessiert mich auch nicht besonders. Ich muss aber sagen, dass mich sein aggressiver und einschüchternder Ton ziemlich irritiert. Ich finde, in diesem Ton spricht man nicht mit einem Kollegen...«
»Schon gut, Herr Macrì. Mit der Interpretation des Tones könnten wir viele Stunden verbringen, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Die Fragen als solche sind bisher zulässig und verletzen nach Ansicht des Gerichts auch nicht die Würde des Zeugen, sprich die Ihre. Wenn Sie in diesem Punkt anderer Meinung sind, können Sie sich ja an die Anwaltskammer wenden und dort Beschwerde einlegen. Herr Guerrieri, bitte fahren Sie jetzt fort, vergessen Sie aber nicht, was ich Ihnen vorher gesagt habe, und kommen Sie so schnell wie möglich zum Punkt.«
Macrì hatte den Vorsitzenden gereizt. Das war nicht unbedingt gut, denn wenn Mirenghi gereizt war, konnte er es an allen auslassen, unabhängig davon, wer für seine Gereiztheit
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