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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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rede, habe ich Recht?«
    Macrì sagte unentwegt: Habe ich Recht? Das Fragezeichen hörte man heraus, aber es war keine Frage .
    Eine Flut von Gedanken rauschte unkontrolliert durch mein Gehirn. Alles wäre viel einfacher gewesen. Geld für ihn, Geld für mich – wie viel hat Macrì wohl in seiner Brusttasche, und wie viel braucht es überhaupt, um einen Anwalt wie mich reich zu machen, fragte ich mich, unfähig, diese obszönen Gedanken zu stoppen -, er noch ein paar Jahre im Knast – oder auch länger.
    Ich draußen.
    Natsu und das Kind draußen, mit mir.
    Einer, der weiß, wie man sich benimmt. Erneut tauchte dieser Satz in meinem Kopf auf. Aber diesmal betraf er nicht Macrìs Handlanger. Diesmal war er die neue Definition für Guido Guerrieri, den tüchtigen Anwalt, der sich nicht scheute, einen Mandanten für Geld, Liebe und Trümmer eines Lebens zu verkaufen, das er selbst nicht in der Lage gewesen war, sich aufzubauen.
    Der sich nicht scheute, das Leben eines anderen zu stehlen.
    Es dauerte ein paar Sekunden, glaube ich.
    Wenige Male – vielleicht noch nie – habe ich mich so vor mir selbst geekelt.
    Macrì merkte, dass etwas schiefging. Ich stand da, machte ein betretenes Gesicht und antwortete ihm nicht auf seine Frage.
    »Ich habe mich doch klar ausgedrückt, oder?«
    Ich sagte, ja, er habe sich klar ausgedrückt. Dann suchte ich einen Moment lang nach einer originellen Antwort, fand aber keine. Deshalb meinte ich lediglich, wir würden sein großzügiges Angebot wohlwollend prüfen – sofern mein Mandant auch in zweiter Instanz schuldig gesprochen würde.
    Was, im Nachhinein betrachtet, vielleicht tatsächlich eine originelle Antwort war.
    Macrì blieb stehen und sah mich fragend an. Er wollte verstehen. Verstehen, ob ich einfach dumm war, scherzte oder nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
    Er las nichts von alledem in meinem Gesicht, und als er weitersprach, hatte seine Stimme einen neuen Klang.
    »Witzig. Da jetzt aber gleich die Verhandlung beginnt, wäre es, glaube ich, an der Zeit, ernsthaft miteinander zu reden. Ich hab hier in der Tasche...«
    »Du hast Recht, die Verhandlung beginnt jeden Moment. Besser, ich gehe in den Gerichtssaal zurück.«
    Ich wollte mich umdrehen, doch Macrì hielt mich auf, indem er mir seine Pranke auf den Arm legte, während einer, der wusste, wie man sich benimmt ein paar Schritte auf mich zu tat. Ich machte meinen Arm frei und sah ihm in die Augen.
    »Gib Acht, Guerrieri.«
    »Acht worauf?«
    »Das ist ein Spiel, bei dem man sich übel die Finger verbrennen kann.«
    Ich war jetzt ganz ruhig. Und ich antwortete ihm leise. Beinahe flüsternd.
    »Bravo. So gefällst du mir schon besser. Dieser Part passt besser zu dir.«
    »Gib Acht«, wiederholte er. »Ich mach dich fertig.«
    Ich hatte mein Leben lang darauf gewartet, dass jemand – jemand wie er – einen solchen Satz zu mir sagt.
    »Versuch’s doch«, entgegnete ich.
    Dann drehte ich mich um und ging zum Verhandlungssaal zurück.

41
    I ch grüßte mechanisch den Generalstaatsanwalt, bei dem es sich nach wie vor um den Tintenfisch handelte, hängte mir die Robe über, setzte mich auf meinen Platz und hielt den Blick starr auf die Bänke der Richter gerichtet. Das tat ich bereits, als die Richter noch gar nicht anwesend waren, und selbst als sie dann Einzug hielten und die Sitzung eröffneten, blickte ich unverwandt auf ihre Bänke – auf das Holz ihrer Bänke, wohlgemerkt, nicht auf sie selbst. Ohne auch nur einmal den Kopf zu wenden.
    Ich überlegte mir, wie man die verschiedenen Tönungen des Holzes benennen könnte, fragte mich, woher die schwarzen Flecken kamen, die sich an einigen Stellen gebildet hatten, dort, wo die Maserung zusammenlief. Ich dachte an nichts anderes, und ich nehme an, das war eine Art mentale Selbstverteidigung. Den Kopf frei machen und vor allem frei halten, damit sich keine Angst einschleichen kann.
    Wie beim Boxen. Das Einzige in meinem Leben, dem ich hin und wieder einen sinnvollen Gedanken, ein Körnchen Weisheit verdanke. Eine Metapher.
    Lediglich als Paolicelli von Wachbeamten in den Saal gebracht wurde, blickte ich einen Moment auf und hob zum Gruß die Hand. Danach vertiefte ich mich erneut in die Muster des Holzes auf den Bänken der Richter.
    Ich war so darauf konzentriert, dass ich gar nicht merkte, wie der Vorsitzende mich aufrief. Oder besser: Ich hörte wohl seine Stimme, aber in weiter Ferne; so, als ginge sie mich im Zustand leichter Trance, in den ich verfallen war,

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