Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
leid. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Die Frau blickte meinen Kollegen an. Auch ihr Mann drehte sich langsam zu ihm hin und sah ihn mit diesem Gesicht an, das jeden Moment auseinanderzufallen drohte. Fornelli sah die beiden einen Augenblick an und wandte sich dann an mich.
»Vor ein paar Tagen bin ich zu dem stellvertretenden Staatsanwalt gegangen, bei dem die Akte liegt.«
»Wer ist das?«
»Ein gewisser Carella, der erst seit kurzem dabei ist, wie man mir sagt.«
»Ach ja, der ist vor kurzem gekommen, aus Sizilien, glaube ich.«
»Was hältst du von ihm?«
»Ich kenne ihn noch nicht gut, aber ich würde sagen: anständig. Etwas unscheinbar vielleicht, aber keiner, der Däumchen dreht.«
Fornelli zog unwillkürlich eine fast unmerkliche Grimasse, bevor er weitersprach.
»Als ich ihn aufsuchte, um zu fragen, wie weit er mit der Sache sei, sagte er mir, er würde die Einstellung des Falls beantragen. Die sechs Monate, sagte er, sind so gut wie vorüber, und er sieht keinen Grund, eine Verlängerung der Ermittlungen zu beantragen.«
»Und du?«
»Ich versuchte ihm zu sagen, dass man den Fall nicht einfach so einstellen könne, und er meinte, wenn ich weitere Untersuchungen vornehmen lassen wolle, könne ich das tun und er würde mich darin unterstützen. Andernfalls würde er die Ermittlungen einstellen, was natürlich – wie er sagte – nicht ausschließt, dass der Fall trotzdem noch einmal aufgenommen werden könnte, wenn neue Hinweise auftauchten.«
»Das ist richtig«, sagte ich, während mir dämmerte, weshalb sie zu mir gekommen waren.
»Auf meinen Rat hin wollen Tonino und Rosaria dir den Auftrag geben, die Akte zu studieren und zu überlegen, welche Untersuchungen man dem Staatsanwalt noch vorschlagen könnte, damit der Fall nicht zu den Akten gelegt wird.«
»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, aber das ist ein Auftrag für einen Privatdetektiv, nicht für einen Anwalt.«
»Wir glauben nicht, dass es gut wäre, gleich zu einem Detektiv zu gehen. Du bist doch Strafverteidiger, du hast schon viele Akten gesehen, du weißt, was Ermittlungen sind. Ich brauche dir nicht zu sagen, dass Geld keine Rolle spielt. Es ist so viel da, wie du brauchst, für dich und eventuell auch noch für einen Privatdetektiv, wenn du einen zur Unterstützung brauchst.«
Das Problem war nur, dass in meinem Fall ein Honorar für solch eine Leistung nicht zu ermitteln war. Die Gebührentabelle der Anwälte sah keine »Assistenz bei der Suche nach verschwundenen Personen« vor. Dieser unangenehme Gedanke machte sich in meinem Kopf breit, ohne dass ich es überhaupt merkte, und das war mir peinlich. Ich sah mich also um und begegnete sogleich dem Gesicht des Vaters, der vermutlich unter dem Einfluss von Medikamenten stand. Psychopharmaka. Vielleicht war das der Grund für seine geistesabwesende Miene. Mein Unbehagen wuchs. Ich dachte, ich müsse freundlich ablehnen und es dabei belassen. Es war nicht richtig, ihnen Hoffnungen zu machen und ihr Geld zu nehmen. Ich wusste nur nicht, wie ich es ihnen sagen sollte.
Ich kam mir vor wie ein Schwindler aus einem zweitklassigen Hardboiled-Krimi. Einer dieser zerknitterten Privatdetektive, die zu einem potenziellen Auftraggeber immer erst einmal sagen, dass sie den Fall nicht übernehmen wollen – nur, um der Geschichte etwas mehr Rhythmus, mehr Spannung zu geben –, und dann ihre Meinung ändern und sich total in die Sache stürzen. Und den Fall natürlich lösen.
In dieser Geschichte gab es jedoch nichts zu lösen. Vielleicht würde man nie mehr von dem Mädchen hören, vielleicht doch, aber ich war auf jeden Fall nicht der Richtige, um ihnen die Nachrichten zukommen zu lassen, die sie hören wollten.
Ich redete fast, ohne es zu merken und ohne meine Worte wirklich im Griff zu haben. Wie es manchmal geschieht, sagte ich ganz andere Dinge als die, die ich dachte.
»Ich will nicht, dass Sie sich Illusionen machen. Wahrscheinlich – höchstwahrscheinlich – haben die Staatsanwaltschaft und die Carabinieri alles getan, was möglich war. Wenn schwerwiegende Fehler gemacht worden sind, könnte man veranlassen, dass sie zusätzliche Ermittlungen anstellen und dass Versäumnisse bei den Beweismitteln nachgeholt werden, aber machen Sie sich nicht allzu viele Illusionen. Sagtest du, dass du eine vollständige Kopie der Akte hast?«
»Ja, morgen bringe ich sie dir vorbei.«
»Gut, aber du brauchst nicht extra vorbeizukommen, du kannst sie mir von einem deiner Mitarbeiter
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