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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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aller Art. Es gab zig Vernehmungsprotokolle, die von den Polizeistationen halb Italiens stammten. All diese Leute behaupteten mit mehr oder weniger großer Sicherheit, welche wiederum direkt mit ihrem mentalen Zustand zusammenhing, Manuela gesehen zu haben.
    Da war der professionelle Größenwahnsinnige, von dem Fornelli gesprochen hatte, der gesehen hatte, wie das Mädchen an der Peripherie von Foggia auf den Strich ging; da war die Frau, die sie geistesabwesend zwischen den Regalen eines Supermarkts in Bologna umherwandern sah; und dann noch ein Typ, der schwor, dass er gesehen hatte, wie Manuela von zwei zwielichtigen Typen, die sich untereinander in irgendeiner osteuropäischen Sprache unterhielten, in ein Auto geschubst wurde, das dann mit quietschenden Reifen davonfuhr.
    Die Carabinieri teilten mit, dass keine dieser Aussagen auch nur im Geringsten glaubhaft war. Und während ich das las, dachte ich mir, dass ich noch nie so sehr einer Meinung mit der Polizei gewesen war.
    In der Akte waren auch einige anonyme Briefe, die direkt an das Präsidium gerichtet waren. Es ging darin um Menschenhandel, internationale Komplotte, türkische und israelische Geheimdienste, um satanische Sekten und schwarze Messen. Ich zwang mich, alle ganz zu lesen, und tauchte aus dieser Beschäftigung erschöpft und um kein bisschen klüger wieder auf.
    Manuela war stillschweigend vom banalen und schrecklichen Nichts dieses Sommersonntags verschluckt worden, und ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man noch nach ihr forschen konnte, um die verzweifelte Hoffnung von Mutter und Vater Ferraro aufrechtzuerhalten.
    Ich ging zum Kühlschrank, schenkte mir noch ein Glas Wein ein. Dann sah ich auf die wenigen Notizen, die ich mir gemacht hatte, und dachte, dass sie wirklich überflüssig waren.
    Ich wurde langsam nervös, und da ich meine Gedanken nicht mehr im Zaum halten konnte, fragte ich mich, was die Helden gewisser amerikanischer Krimis, die ich in den vergangenen Jahren leidenschaftlich gelesen hatte, wohl tun würden. Ich fragte mich zum Beispiel, was Matthew Scudder, Harry Bosch oder Steve Carella tun würden, wenn sie den Fall übernehmen müssten.
    Die Frage war lächerlich, doch paradoxerweise half sie mir, meine Gedanken zu schärfen.
    Die Roman-Detektive hätten ausnahmslos erst einmal mit dem Polizisten gesprochen, der die Ermittlungen geleitet hatte. Ihn gefragt, was sein Eindruck war, unabhängig von dem, was in der Akte stand. Dann würden sie die bereits befragten Personen noch einmal aufsuchen, um Details aus ihnen herauszuquetschen, die sie damals vergessen oder nicht erzählt hatten oder die nicht aufgeschrieben worden waren.
    In diesem Moment hatte ich eine Erkenntnis. Ein paar Stunden vorher hatte ich noch gedacht, ich würde in der Akte keine Anknüpfungspunkte finden. Und die Lektüre hatte mich in dieser Annahme bestärkt. Ich hatte gedacht, ich müsse diesen Eindruck Fornelli und den Ferraros mitteilen, ihnen den Scheck zurückgeben und mich von einem Auftrag zurückziehen, für den ich weder die Kompetenz hatte noch die Mittel. Das war mir als die einzige richtige und sinnvolle Reaktion erschienen. Doch in den letzten beiden Stunden hatte ich aus Gründen, die ich erahnen, aber nicht genau benennen konnte, meine Meinung geändert.
    Ich sagte mir, dass ich einen Versuch machen würde. Mehr nicht. Und zuerst würde ich mit dem Unteroffizier sprechen, der die Ermittlungen geleitet hatte, Maresciallo Navarra. Ich kannte ihn, wir waren einander wohlgesonnen, und er würde mir sicherlich sagen, welche Meinung er sich über den Fall gebildet hatte, über das Geschriebene hinaus. Danach würde ich entscheiden, ob ich weitermachte und was ich tun wollte.
    Als ich auf die Straße trat, zog ich mit einer einstudierten Geste den Kragen meines Trenchcoats hoch, auch wenn dazu kein Anlass war.
    Wer zu viele Bücher liest, tut Dinge, für die es keinen Anlass gibt.

9
    A uf dem Heimweg beschloss ich, dass ich mich eine halbe Stunde dem Sandsack widmen würde. Diese Aussicht versetzte mich wie immer in eine leichte Euphorie. Ich glaube, dass ein guter Psychologe viel Spaß an der Interpretation meines Verhältnisses zu diesem Sandsack haben könnte. Ich prügle hart auf ihn ein, klar. Aber vorher, in den Pausen und vor allem danach, wenn ich womöglich noch ein schönes kühles Bier trinke, spreche ich mit ihm.
    Dieses Phänomen geht auf die Zeit zurück, in der Margherita nach New York ging, und es wurde noch ausgeprägter,

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