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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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gerade deshalb spürte ich, wie wenige andere Male in meinem Leben, was es hieß, sich wie ein Mann zu fühlen.
    Ich hörte auf, mit dem Sandsack zu kämpfen. Ich stellte mich vor ihn, versuchte meinen Atem zu kontrollieren, spürte, wie das Blut in meinen Schläfen pochte und in mir eine verzweifelte Zärtlichkeit für dieses Kind-Mann-Wesen aufstieg, das im Dunkeln unter den Decken lag und alles vor sich hatte, was noch kommen sollte.
    Als die Schwingungen des Sacks und die des Atems sich beruhigt hatten, löste ich mich aus dieser Trance.
    Nico und The Velvet Underground sangen I’ll be your mirror.
    »Okay, Mister Sandsack, ich gehe jetzt duschen und dann ins Bett. Hoffe ich. Jedenfalls war es wie immer ein Vergnügen, eine halbe Stunde mit Ihnen zu verbringen.«
    Er nickte schaukelnd, einvernehmlich. Auch er hatte mich gern, trotz allem.

10
    M aresciallo Navarra ist ein sympathischer Kerl, der nicht gerade wie ein Polizist aussieht und noch weniger wie einer vom Militär. Er hat das Gesicht eines pummeligen Jungen und ist nicht gerade der Typ Mensch, von dem man sich erwarten würde, dass er mit gezückter Pistole ein Dealernest aushebt oder einen Verdächtigen bei der Vernehmung mit Ohrfeigen traktiert. Er ist mit einer Ingenieurin verheiratet, die bei der staatlichen Forschungsgesellschaft CNR arbeitet und die er an der Uni kennengelernt hat, als auch er noch Ingenieur werden wollte. Dann bewarb er sich als Unteroffizier der Carabinieri, bestand die Aufnahmeprüfung und brach sein Studium ab. Er hat drei Kinder, einen Hund, einen Hauch von Melancholie in den Augen und ein wunderschönes Hobby: Er baut Flugzeuge aus Papier.
    Auf den ersten Blick mag das wie ein Hobby für kleine Jungs erscheinen, ein Zeitvertreib für das Wartezimmer eines Arztes.
    Aber das ist es nicht. Jedes Einzelteil erfordert tagelange Überlegungen und Skizzen, dann folgen die Entwürfe, dann die Versuche und schließlich die Perfektionierung, so lange, bis das Flugzeug fliegt. Und wenn ich sage, es fliegt , dann meine ich damit, dass es tatsächlich fliegt. Lange, unglaublich lange, so als hätte es einen Motor und einen Piloten oder ein Eigenleben. Zum Dank für einen juristischen Rat, den ich seiner Schwester gab, hat er mir vor langer Zeit einmal so ein Flugzeug geschenkt. Ich habe es heute noch und es gehört zu den wenigen Gegenständen, an denen ich hänge.
    Ich hatte Navarras Handynummer, und am nächsten Morgen rief ich ihn an.
    »Maresciallo Navarra, hier spricht Guerrieri.«
    »Guten Morgen, Anwalt, wie geht es Ihnen? Haben Sie mein Flugzeug noch?«
    »Guten Morgen. Natürlich habe ich es noch. Manchmal sehe ich es an und frage mich, wie Sie es schaffen, aus Papier so etwas zu erschaffen.«
    »Kann ich Ihnen irgendwie nützlich sein?«, fragte er.
    »Ja, ich würde Sie gern eine halbe Stunde sprechen. Wäre das möglich?«
    »Worum geht es denn?«
    »Um das Verschwinden von Manuela Ferraro. Vor ein paar Tagen sind die Eltern zu mir gekommen, ich habe die Akte gelesen und würde mich gern mit Ihnen darüber unterhalten, falls Sie einen Moment Zeit haben.«
    »Gehen Sie heute ins Gericht?«
    »Ich habe keine Verhandlung, aber wenn Sie zum Gericht müssen, können wir uns gern dort treffen.«
    »Wenn Sie nur wegen mir gehen, lohnt es sich nicht. Machen wir es so: Ich gehe in meine Verhandlung, frage, ob ich gleich gehört werden kann, und rufe Sie an, sobald ich fertig bin. Dann komme ich in Ihrer Kanzlei vorbei.«
    Ich sagte, ich wolle nicht, dass er wegen mir Zeit verlor, und er antwortete, dass er mich gern besuche, denn ich sei ihm im Gegensatz zu den meisten meiner Kollegen sympathisch. Er sagte, seiner Meinung nach hätte ich Staatsanwalt werden sollen, denn er habe es besonders geschätzt, wie ich einmal die Zivilkläger bei einem Verfahren wegen Wuchers vertreten hatte, bei dem er die Ermittlungen geführt hatte. Er sagte, wenn es nach dem Staatsanwalt gegangen wäre, wäre dieser Hornochse von Angeklagtem freigesprochen worden. Dass die Wuchererbande schließlich doch verurteilt wurde, sei einzig und allein mein Verdienst gewesen. Er komme wirklich gern vorbei, sagte er noch einmal.
    Er rief mich früher an als erwartet. Seine Verhandlung war aufgrund formaler Probleme vertagt worden, deswegen hatte er sofort Zeit. Zwanzig Minuten später saß er vor mir.
    »Waren Sie nicht vor Kurzem noch in einer anderen Kanzlei?«
    »Ja, wir sind vor vier Monaten umgezogen.«
    »Ist ja eher ein Büro im amerikanischen Stil. Gefällt

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