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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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als sie mir schrieb, sie würde nicht mehr nach Italien zurückkommen. Dieser Brief – ein echter Brief aus Papier, keine E-Mail – bestätigte mir, was ich schon wusste: dass unsere Beziehung vorbei war, dass sie jetzt ein anderes Leben hatte, in einer anderen Stadt, in einer anderen Welt. Mir blieben die Brosamen desselben alten Lebens, derselben Stadt, derselben Welt. Im Lauf der nächsten Monate sprach ich mit ihm – dem Sandsack, meine ich – vor allem über Margherita und die anderen Frauen, die ich geliebt habe. Drei insgesamt.
    »Weißt du, mein Freund, was mich am meisten betrübt?«
    »…«
    »Dass ich mich nicht mehr richtig an dieses vernichtende Gefühl erinnern kann. Das ich mit Tiziana, Margherita und Sara erlebt habe, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Ich kann mich einfach nicht daran erinnern, ich weiß zwar, dass ich es erlebt habe, aber ich weiß nicht mehr, wie es war.«
    Sandsack schwang hin und her, und ich erkannte, dass er ein paar Erklärungen brauchte. Wahrscheinlich hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Was sollte das heißen, dass ich mich an dieses vernichtende Gefühl nicht mehr erinnerte?
    »Kennst du das Lied von De Andrè? La canzone dell’amore perduto . Das Lied von der verlorenen Liebe . Erinnerst du dich an die Strophe, in der es heißt: Non resta che qualche svogliata carezza e un po’ di tenerezza? Zurück bleiben nur ein paar zerstreute Liebkosungen und ein wenig Zärtlichkeit? «
    »…«
    »Nein, das weißt du nicht mehr. Wahrscheinlich hast du nie richtig zugehört, aber das Lied kennst du bestimmt. Eine Zeitlang habe ich es immer wieder gespielt. Aber du bist der Einzige, mit dem ich darüber spreche. Ich will dir etwas anvertrauen, wenn du mir versprichst, dass es unter uns bleibt.«
    »…«
    »Okay, du hast recht, entschuldige. Keiner ist so verschwiegen wie du. Weißt du, wie oft mir zum Weinen ist?«
    »…«
    »Das sage ich dir gern. Weil ich nämlich im Grunde darüber reden will. Mir ist zum Weinen, wenn ich daran denke, dass mich die Erinnerung an die Frauen, die ich geliebt habe, nicht mehr schmerzt. Bestenfalls überkommt mich eine diffuse, müde Traurigkeit, die mich nicht wirklich berührt. Etwas Abgestandenes, wie Brackwasser.«
    »…«
    »Okay, die Metapher ist nicht gerade originell. Und du hast ja recht, ich verliere mich in meinen Gedanken und kann sie nicht gut erklären. Der Grund, weshalb mir zum Weinen ist, ist, dass mir alles so schal vorkommt, so still. Auch das Leiden. Mein so genanntes Gefühlsleben ist ein Stummfilm. Ich weiß, dass du diese Dinge nicht so genau nimmst, aber ich bin traurig und muss fast weinen, weil ich meine Traurigkeit nicht mehr finde. Diese gesunde Traurigkeit, die in dir pulsiert wie das Blut in deinen Schläfen, die macht, dass du dich lebendig fühlst. Nicht dieses läppische, weiche, abgestandene Zeug. Verstehst du, was ich meine?«
    An dieser Stelle der Unterhaltung hatte Mister Sandsack vollkommen aufgehört, sich zu rühren. Die allerletzten Schwingungen, ausgelöst von den Fäusten seines durchgeknallten Freundes und höflich eingesteckt, waren verklungen, und er hing reglos in der Luft. Als hätten die Dinge, die ich ihm erzählt hatte, ihn derartig getroffen, dass er wie gelähmt war. Er dachte darüber nach, aber wie immer würde er mir Antworten, Meinungen oder Ratschläge schuldig bleiben.
    Und doch, man mag es glauben oder nicht, nach diesen höchst pathologischen Gesprächen – und natürlich nach den Faustschlägen – fühlte ich mich besser, ja oft sogar richtig gut.
    Tatsächlich ist Mister Sandsack der ideale Psychotherapeut. Er hört zu, ohne zu unterbrechen, urteilt nicht (er schwankt höchstens ein wenig hin und her) und stellt keine Honorarforderungen. Auch mit dem Phänomen der Übertragung haben wir keine größeren Probleme: eine gewisse Zärtlichkeit, die keine sexuellen Hintergedanken kennt. Aus diesem Grunde denke ich gar nicht daran, ihn auszuwechseln. Wenn er an einer Stelle reißt, weil ich zu fest auf ihn eindresche, repariere ich ihn mit Paketband. Er sieht aus wie ein Veteran. Das gefällt mir, und ich bin sicher, dass er mir dankbar dafür ist, dass ich ihn nicht wegwerfe und durch einen neuen, glänzenden, beliebigen Sack ersetze.
    Ich ging ins Wohnzimmer und lockerte meine Krawatte. Als Erstes legte ich eine CD ein, die ich selbst zusammengestellt hatte, mit etwa zwanzig ganz unterschiedlichen Stücken, und drückte auf zufällige Wiedergabe. Zwei Minuten später

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