Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Gerichtshof vertreten hatte.
Unter diesen Mandanten gab es einen – Damiano Quintavalle –, der schon lange dabei war, auch weil er jedes Mal, wenn er erwischt worden war, glimpflich davongekommen war. Er war ein gescheiter Kerl und kannte wirklich sehr viele Leute in allen Kreisen der Stadt.
An ihn könnte ich mich wenden, um herauszufinden, ob Michele Cantalupi tatsächlich mit der Drogenszene oder generell mit illegalen Aktivitäten in Verbindung stand. Ich nahm mir vor, ihn am nächsten Tag anzurufen und mich eingehend mit ihm zu unterhalten. Ich tastete mich nur vorwärts, sagte ich mir, aber das war immer noch besser, als gar nichts zu tun.
17
E s war kalt. Am Himmel hingen schwere, drohende Wolken, die vermuten ließen, dass es von einem Moment auf den nächsten losregnen würde. Da ich jedoch keine Lust hatte, bis zur Garage zu laufen, den Ausweis zu zeigen, mir das Auto bringen zu lassen und vor allem darauf zu warten, dass sie es mir brachten, beschloss ich, das Risiko einzugehen, nass zu werden, und stattdessen das Fahrrad zu nehmen.
Als ich das Chelsea Hotel betrat, war die Luft vom Klavier und der Stimme Paolo Contes erfüllt, der Sotto le stelle del jazz sang.
Das Lokal war fast leer und strahlte eine merkwürdige, angenehme Atmosphäre der Erwartung aus.
Ich setzte mich an einen Tisch am Eingang. Kurz darauf kam Nadia aus der Küche und begrüßte mich.
»Hans hat heute eine Tiella aus Reis, Kartoffeln und Miesmuscheln gemacht. Willst du sie probieren?«
Hans ist Nadias Geschäftspartner. Er ist Koch und Konditor und nebenbei ein Deutscher aus Dresden. Er sieht aus wie ein ehemaliger Hammerwerfer, der nicht mehr trainiert, sondern sein Interesse ganz auf Bier verlagert hat. Ich habe keine Ahnung, wie es ihn nach Bari verschlagen hat, aber ich glaube, dass er schon lange hier lebt, denn er spricht den hiesigen Dialekt ganz akzeptabel und hat sich die Geheimnisse der örtlichen Küche zu eigen gemacht.
Die Tiella aus Reis, Kartoffeln und Miesmuscheln ähnelt der valencianischen Paella, auch wenn jeder Bewohner Baris sagen würde, dass sie viel, viel besser schmeckt. Man bereitet sie zu, indem man in eine Kasserolle – eine tiella , wie man sie hier nennt – schichtweise Reis, Miesmuscheln, Kartoffeln, Zucchini und frische kleingeschnittene Tomaten gibt und dazu das Wasser, in dem die Miesmuscheln gewaschen wurden, dann alles mit Olivenöl, Pfeffer, gehackten Zwiebeln und ebenfalls gehackter Petersilie anmacht. Das Ganze bleibt dann etwa fünfzig Minuten im Ofen, aber wenn die Familie des Kochs nicht seit mindestens vier Generationen in Bari lebt, ist das Ergebnis keineswegs garantiert.
»Ich möchte Hans nicht kränken, schon weil er schätzungsweise hundertzwanzig Kilo wiegt, aber ich habe einige Zweifel daran, dass er einen guten Reis-Kartoffel-Miesmuschel-Eintopf kochen kann.«
»Probier seine Tiella doch einfach, danach reden wir weiter.«
Nadia kam an meinem Tisch vorbei, als ich gerade die zweite Portion vertilgt und ein zweites Glas Negroamaro geleert hatte. Sie warf mir einen ironischen Blick zu.
»Na?«
Ich hob die Hände zum Zeichen der Kapitulation.
»Du hattest recht. Eine solche Tiella brachte nur die alte Marietta zustande.«
»Wer ist denn die alte Marietta?«
»Marietta war eine Frau, die bei uns im Haushalt half, als ich klein war. Sie wohnte in der Altstadt. Manchmal brachte sie uns hausgemachte Orecchiette mit. Und sie kochte einen legendären Reis-Kartoffel-Miesmuschel-Eintopf. Von jetzt an ist Hans für mich so etwas wie eine Neuausgabe von Marietta.«
Nadia musste lachen. Tatsächlich entbehrte die Vorstellung einer Fusion von Hans und Marietta nicht einer gewissen Komik.
»Darf ich mich zu dir setzen? Es sind kaum Leute da, und bei dem Regen glaube ich nicht, dass sich das noch ändert.«
»Aber sicher, setz dich. Hat es angefangen zu regnen? Das ist ja großartig, ich bin nämlich mit dem Rad da.«
»Wenn du es nicht eilig hast, kann ich dich heimfahren. Wenn das so weitergeht, schließen wir um Mitternacht. Du kannst dein Rad hier unterstellen und es abholen, wann du willst.«
»Ich habe es nicht eilig. Danke, ich habe nämlich gar keine Lust, nass zu werden.«
»Bist du noch hungrig?«
»Machst du Witze? Nach allem, was ich gegessen habe, brauche ich erst einmal etwas Starkes.«
»Hast du schon mal Absinth probiert?«
»Nein, und Kokain, Peyote und LSD auch nicht, wenn ich ehrlich sein soll.«
»Peyote führen wir auch nicht, aber Absinth schon.
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