Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
vergolden, indem sie auf eine bessere Quelle als den Hafenklatsch verwiesen, der manchmal wahrscheinlich die korrekte Quelle war.
Sie selbst hatten in der Vorstellung gelebt, Andersson sollte an Jubelius berichten, der wiederum die Kontakte zu den Deutschen halten sollte. Aber da Andersson in ständiger Geldnot war, hatte er damit begonnen, erst an die deutsche Vertretung und dann an Jubelius zu berichten.
Das hatte natürlich dazu geführt, daß der deutsche Nachrichtendienst manche kleineren Angaben doppelt bezahlen mußte. Doch gleichzeitig gab es ein Korrektiv. Informationen, die Jubelius manchmal diesem Kapitän von Otter in den Mund legte, waren in Wahrheit von Bootsmann Andersson gekommen. Und manchmal verhielt es sich umgekehrt.
Da außerdem völlig klar war, daß Deutschland keinen eigenen Kontakt zu diesem Kapitän von Otter hatte, war es über jeden Zweifel erhaben, daß von Otter nur eine erfundene Quelle war. Der besagte von Otter hatte leider nie für die Sache Deutschlands gearbeitet.
Was nun diesen Andersson anging, so hatte er die norwegischen Spione Pettersen und Skauen offenbar mit Informationen über deutsche Aktivitäten in Göteborg versehen. Gegen Bezahlung. Danach hatte er, gleichfalls gegen Bezahlung, die Norweger sowohl an Jubelius als auch direkt an die deutsche Vertretung verkauft. Weshalb die Zuverlässigkeit dieses Mannes natürlich als sehr gering angesehen werden mußte. Was er möglicherweise selbst geahnt hatte. Daher war es nach der Auffassung des deutschen Nachrichtendienstes leicht zu verstehen, daß er das Bedürfnis gespürt hatte, den Namen von Otters zu leihen, also eines anständigen Offiziers, um seine Informationen irgendwie wertvoller zu machen, nicht zuletzt pekuniär.
Åke Stålhandske fühlte sich vollkommen matt, als er sich von seiner unbequemen Leseposition erhob.
» They did the wrong guy «, flüsterte er leise.
»Wie bitte?« sagte der alte Pensionär und schob die Lesebrille wieder in die Stirn.
»Ja, ich sagte gerade, daß dies eine unerhört wichtige Information ist«, erwiderte Åke Stålhandske gefaßt. »Ich glaube schon, daß Kapitän zur See Ulfsson das hier als unseren bisher wichtigsten Fund beurteilen wird.«
Er bedankte sich aufrichtig und herzlich und lobte den Major für seine Hilfe. Als er auf dem Korridor zu Samuel Ulfsson unterwegs war, kam ihm eine Idee. Vielleicht sollte er noch eine letzte Sache prüfen, etwas, was ihm da oben in Norwegen eingefallen war, eine letzte Möglichkeit. Jetzt konnte sich vielleicht noch etwas ergeben. Er ging an Samuel Ulfssons Zimmer vorbei und nahm die Treppen statt des Fahrstuhls, da er es zum ersten Mal wirklich eilig hatte, zu den Wälzern im Kriegsarchiv zu kommen.
Es war elf Uhr vormittags und ein Dienstag. Also blieb noch eine Stunde. Dem norwegischen Außenminister war äußerst unbehaglich zumute. Er stand an dem einzigen Fenster mit Aussicht zum Drammensveien und betrachtete das Standbild unterhalb des Eingangs zum Außenministerium: Haakon VII. Norges Konge 1905 bis 1957.
Das Standbild ist sechs oder sieben Meter groß, was die hochgewachsene schlanke Gestalt des alten Königs noch betont. Er trägt natürlich Uniform, hat eine Generalsmütze auf dem Kopf und hält die rechte Hand ans Herz gedrückt, das Symbol für Norwegens Widerstand während des Krieges.
Es würde nicht leicht werden.
Seit Haakons Tagen fand sich der Außenminister jeden Dienstag um zwölf Uhr zu einer außenpolitischen tour d’horizon beim König ein. Das war seit dem Zweiten Weltkrieg eine Tradition, die der jetzige König wie selbstverständlich und entschlossen beibehalten hatte.
Es war ein länglicher Raum, der kleine Spaziergänge um den abgewetzten Konferenztisch aus hellem Teak mit den zwölf Stühlen erlaubte. Das war angenehm für jemanden, der gern beim Gehen dachte. Der Außenminister war so ein Mann, und gerade heute mußte er ungewöhnlich viel darüber nachdenken, wie er den Fall präsentieren sollte.
Am Freitag sollte der Beschluß bei der Kabinettssitzung fallen, und danach würde alles an die Öffentlichkeit gelangen. Es würde natürlich eine schauerliche Geschichte geben. Er selbst und die Justizministerin waren dagegen gewesen. Der Verteidigungsminister und der Ministerpräsident hatten sich für ein Strafverfahren ausgesprochen.
Diese vier bildeten den Sicherheitsrat der Regierung, und bis jetzt war die Angelegenheit nur dort diskutiert worden. Als Außenminister hatte er mit Nachdruck zu betonen
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