Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
versucht, welch unangenehme Konsequenzen ein solcher Prozeß über den Zweiten Weltkrieg für die Beziehungen zwischen Schweden und Norwegen haben würde. Es würde alles wieder hochkochen, und wem war heute noch damit gedient?
Über die Schweden und Schwedens Haltung während des Krieges konnte jeder denken, was er wollte. Doch jetzt mußte es vorbei und begraben sein.
Die Justizministerin hatte überdies auf ein juristisches Detail hingewiesen, das ebenfalls direkte politische Bedeutung erhalten würde.
Der Prozeß gegen Haugen und Pettersen konnte in Norwegen stattfinden, und zwar vor einem norwegischen Gericht, vermutlich dem Lagmansretten in Oslo, das heißt einem Geschworenengericht.
Norwegische Geschworene, gute norwegische Männer und Frauen, die sich tagelang beispielsweise die Rechtsanwälte Hestenes und Nordhus würden anhören müssen; ein Fest für norwegische Anwälte. Widerstand, Zweiter Weltkrieg, norwegische Märtyrer, Heldentum hin, Heldentum her, der schwedische Verrat, die schwedische Kollaboration mit den Nazis, und das tagein, tagaus.
Norwegische Geschworene würden die beiden Mörder vermutlich freisprechen, worauf die Richter nichts anderes tun könnten, als sie laufen zu lassen. Die schwedische Auffassung von norwegischer Gerechtigkeit würde davon nicht sehr positiv beeinflußt werden. In Norwegen leiste man sich immer noch echt nordische Blutrache, in Norwegen bleibe ein Schwede ungerächt. Ein delikates politisches Problem.
Andererseits würde man den Prozeß ebensogut in Schweden abhalten können, wo die Verbrechen begangen worden waren. Dann würden Nordhus und Hestenes sich den Mund fusselig reden können, was das jämmerliche und feige schwedische Verhalten im Zweiten Weltkrieg anging. Das Urteil würde dennoch auf lebenslangen Freiheitsentzug lauten.
Und wer sollte nun entscheiden, wo der Prozeß stattfand?
Nun, unter anderem die Außenministerien in Stockholm und Oslo.
Wie man sich auch drehte und wendete, es war folglich eine politische Frage, ob die beiden verurteilt werden sollten oder nicht.
Der Außenminister betrachtete nachdenklich seine große Weltkarte, als ließen sich dort Worte oder eindrucksvolle Formulierungen finden, die er dem König präsentieren konnte. Dann schweifte sein Blick zu dem großen Porträt Fridtjof Nansens, dem Nationalhelden in nationaler Pose. Ihn schauderte vor Unbehagen bei dem Gedanken, die Herren Pettersen und Haugen, zwei simple Pensionärsmörder, könnten in der Gesellschaft von Nansen landen. Der Außenminister drehte noch eine Runde und sank dann hinter seinem überladenen Schreibtisch zusammen und blickte hilflos zu der acht Meter entfernten Tür. Ja, er mußte bald durch diese Tür und sich zum Schloß begeben.
Das einzige Argument des Ministerpräsidenten bestand im Grunde darin, daß schon viel zu viele Personen von der Sache wußten. Es gab folglich ein großes Risiko, daß alles durchsickerte. Und wenn es durchsickerte, würde es heißen, die Regierung mische sich in die Arbeit der Justizbehörden ein, unterdrücke den Lauf der Gerechtigkeit und so weiter, und die Opposition würde keine Sekunde zögern, das auszunutzen, unabhängig davon, ob sie selbst zu dem gleichen Beschluß gekommen wäre, wenn sie die Regierung gestellt hätte.
Der Verteidigungsminister hatte einen gröberen und einfachen Standpunkt vertreten, nämlich daß Morde an Pensionären nicht toleriert werden könnten und daß schwedische Offiziere als Opfer das gleiche waren wie norwegische Offiziere als Opfer.
Und nordische Blutrache hin und her, so etwas gab es schließlich seit tausend Jahren nicht mehr. So etwas wurde nicht mehr geduldet. Allerdings hatte sich der Verteidigungsminister noch nie als sonderlich heller Kopf ausgewiesen.
Schließlich endete es zu Hause in der Villa des Ministerpräsidenten mit einem Abstimmungsergebnis von zwei gegen zwei, und zwar in der Küche des Hauses, in der der Sicherheitsrat die entscheidende Konferenz abhielt.
Damit hatte der Ministerpräsident die entscheidende Stimme.
Der Außenminister war düsterer Stimmung und voller böser Ahnungen, als er sich in den vorgefahrenen Wagen setzte, um die zwei oder drei Minuten zum Schloß hinaufzufahren. Er hätte ebensogut einen Spaziergang machen können, um etwas frische Luft zu schnappen. Der König pflegte sich nicht in die Außenpolitik einzumischen, aber hier ging es nicht um eine xbeliebige außenpolitische Frage. Das hier war der Zweite Weltkrieg, also die
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