Guillou, Jan - Coq Rouge 05 - Der ehrenwerte Mörder
Handschellen hervor und schnippte mit den Fingern, damit die beiden Männer je eine Hand ausstreckten. Dann kettete er sie aneinander, zog einen Stuhl heran und holte ein kleines Tonbandgerät hervor, das er mitten auf den Tisch legte. Er hatte das Gefühl, als könnte sich die Geschichte in die Länge ziehen.
»Später nehme ich euch diese Handschellen wieder ab. Es ist eine reine Sicherheitsmaßnahme«, erklärte er fast entschuldigend und schaltete das Tonbandgerät ein.
Es gab nur eines an der ganzen Geschichte, was Iver Mathiesen ein feines Lächeln entlockte, nämlich wie Roar Hestenes buchstäblich vom Handlungsablauf abgekoppelt worden war. Der Gute mußte auf der anderen Seite des Fjords laut geflucht haben.
Doch strenggenommen war es nett von Hamilton, auf diese Weise ein paar Probleme zu lösen. Aus seinen Andeutungen ging ja hervor, daß das Verhör nicht strikt nach Vorschrift verlaufen war. So entging Hestenes auf denkbar einfache Weise jeder Verantwortung, und folglich brauchten weder er noch Mathiesen sich jetzt mit der Frage zu quälen, was man den Schweden vielleicht nachsehen konnte oder nicht. Und Haugen und Pettersen hatten sicher keinen Grund, sich offiziell zu beschweren. Die hatten jetzt größere Probleme.
So wie Mathiesen größere Probleme hatte als dieses, von dem er nichts erfahren mußte. Die Familien Skauen und Pettersen waren dort oben im Norden legendär. Zwei Brüder Skauen gehörten zu der englischen Organisation, welche 1943 die »Tirpitz« aufspürte und es ermöglichte, sie zu versenken.
Einer der Brüder wurde einige Jahre nach Kriegsende als russischer Spion verurteilt, da die Widerstandsbewegung, der er sich angeschlossen hatte und die im Gebiet von Kirkenes operierte, von den Russen organisiert worden war. Was durchaus in Ordnung war, solange die Russen Verbündete waren. Was sich jedoch gleich nach dem Krieg in Spionage verwandeln konnte. Möglicherweise war es diese »Landesverrätergeschichte«, die bewirkt hatte, daß Jon August Skauens Mutter den Namen Haugen annahm, der vielleicht nur ihr Mädchenname war.
Und jetzt sollte man also einen religiösen Grübler von Fahnenjunker namens Haugen, dessen Vater wegen seines Kampfs gegen die Deutschen geköpft und dessen Onkel wegen seiner Teilnahme am Widerstand zu Gefängnis verurteilt worden war, rund achtzehn Jahre hinter Gitter schicken. Weil er einen schwedischen Nazi und Informanten ermordet hatte.
Das war aus polizeilicher Sicht keine angenehme Perspektive. Und Hamiltons Vorschläge schienen trotz ihrer sympathischen Bestandteile völlig unannehmbar zu sein.
Carl hatte gemeint, bei Mathiesen zwei Dinge besprechen zu müssen. Einmal natürlich, wie vereinbart, eine Art Schlußbericht abzuliefern, Beweismaterial in Form von Tonbändern und anderem, sowie die Operation formell zu beenden. Was einiger komischer Nebenprobleme nicht entbehrte, da sich beispielsweise die Frage stellte, wie bestimmtes Material nach Schweden zurückgeschmuggelt werden sollte, wo keine nette Sicherheitspolizei wartete, von der man annehmen konnte, daß sie die gleichen Dienste erwies wie die Norweger. Nun, das mußte über das norwegische Oberkommando laufen, dann über die NATO in England und von dort an die Streitkräfte in Schweden.
Hamiltons zweite Aufgabe war jedoch delikat.
Carl war genau wie Joar und Åke von der Geschichte der beiden Mörder tief angerührt worden. Die beiden waren mit den Legenden aus den vier Jahren aufgewachsen, welche die norwegische Geschichte mehr als alles andere zu prägen schienen, 1941 bis 1945. Damals waren sie Kinder gewesen, und als sie zu jungen Männern herangewachsen waren, war der Krieg schon fern. Sie konnten nur von sich sagen, aus so etwas wie guter Familie zu stammen, die während des Krieges auf der richtigen Seite gestanden hatte. Was in einem Land, in dem nach dem deutschen Zusammenbruch achtzigtausend Menschen als Kollaborateure und Landesverräter verurteilt wurden, ja nicht ohne Bedeutung war.
Man brauchte kein Psychologe zu sein, um zu verstehen, wie diese beiden nach und nach auf die fixe Idee kamen, den Tod ihrer Väter zu rächen. Irgendwie hatten die norwegischen Verwandten schon zu der Zeit, als Skauen und Pettersen in Schweden festgenommen wurden, um anschließend zu den Deutschen und der Guillotine geschickt zu werden, verstanden, daß es eine schwedische Mitschuld gab.
Als Jungen hatten die beiden ständig über die Sache gesprochen, als sie dort oben fast Nachbarn gewesen
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