Gullivers Reisen
und flocht sie dann nach Art der Armstühle in England. Als sie fertig waren, schenkte ich sie Ihrer Majestät, die sie im Kabinet aufbewahrte und als Merkwürdigkeiten zeigte; sie erregten auch wirklich das Erstaunen Aller, die sie erblickten. Die Königin wünschte, ich solle mich auf einen dieser Stühle setzen, allein ich weigerte mich bestimmt ihr zu gehorchen, und schwur, ich würde lieber tausendmal sterben, als einen nicht ehrenwerthen Theil meines Körpers auf jenen kostbaren Haaren ruhen zu lassen, die einst das Haupt Ihrer Majestät geschmückt hätten. Da ich nun viel Genie zu mechanischen Arbeiten besitze, verfertigte ich gleicherweise aus diesen Haaren eine niedliche kleine Börse von fünf Fuß Länge, mit dem Namen Ihrer Majestät in goldenen Buchstaben und schenkte dieselbe meiner Wärterin mit Einwilligung der Königin. Um die Wahrheit zu gestehen, so diente diese mehr zur Schau, als zum Gebrauch, denn sie war nicht stark genug, das Gewicht der größeren Münzen zu tragen, und deßhalb verwahrte Glumdalclitch hierin Nichts, als kleines Spielwerk, wie es Kinder gern zu haben pflegen.
Der König war ein Freund der Musik und ließ häufige Concerte bei Hofe halten. Man brachte mich bisweilen auch dorthin und setzte meine Schachtel auf einen Tisch des Concertsaals, allein der Lärm war so furchtbar, daß ich kaum die Melodien unterscheiden konnte. Ich hege die feste Ueberzeugung, daß alle Trommeln und Trompeten einer königlichen Armee, die gerade vor unsern Ohren geschlagen und geblasen werden, keinen Lärm hervorbringen können, der jenem gleichkäme. Ich ließ deßhalb meine Schachtel gewöhnlich so weit als möglich von dem Ort entfernen, wo die Musikanten saßen, schloß Fenster und Thüren und zog die Fenstervorhänge zusammen. Alsdann fand ich, daß die Musik durchaus nicht unangenehm sey.
In meiner Jugend hatte ich ein wenig das Klavierspielen erlernt. Glumdalclitch hatte ein solches Instrument in ihrem Zimmer und zweimal wöchentlich kam ein Musiklehrer zu ihr. Ich nenne das Instrument ein Klavier, weil es einige Aehnlichkeit mit demselben hatte, und weil es in derselben Art gespielt wird. Da hatte ich nun den Einfall, den König und die Königin mit einem englischen Liede auf diesem Instrumente zu unterhalten.
Dies aber war außerordentlich schwierig, denn das Klavier war beinahe sechzig Fuß lang und jede Taste einen Fuß breit, so daß ich mit ausgedehnten Armen nicht über fünf Tasten greifen konnte. Auch das Herunterdrücken derselben erforderte einen starken Schlag meiner Faust, so daß die Arbeit zu groß und erfolglos war. Somit erfand ich eine neue Spielmethode. Ich verfertigte zwei runde Stäbe von der Größe gewöhnlicher Ruthen, die an einem Ende dicker wie am andern waren. Das dickere Ende überzog ich aber mit Mausefell, damit ich durch das Klopfen die Spitzen der Tasten nicht beschädigte und den Schall nicht unterbräche. Vor dem Klavier ward ungefähr vier Fuß unter den Tasten eine Bank hingestellt und ich wurde auf die Bank gesetzt. Ich lief auf derselben mit meinen zwei Stäben den Raum der Tasten entlang so schnell als möglich, schlug die passenden Tasten und spielte so einen englischen Hopser zum großen Vergnügen beider Majestäten. Dies aber war die heftigste Körperbewegung, der ich mich jemals unterzogen habe; dennoch konnte ich nicht über sechs Tasten schlagen, und deßhalb Baß und Diskant nicht zugleich spielen, wie dieses sonst bei Musikern gewöhnlich ist. Dieser Umstand aber gereichte meiner Leistung sehr zum Nachtheil.
Der König, wie ich schon früher bemerkte, ein Fürst von ausgezeichnetem Verstande, ließ mich häufig in meiner Schachtel herbeibringen und auf den Tisch seines Kabinets setzen. Alsdann befahl er mir einen Stuhl aus der Schachtel zu bringen und mich in der Entfernung von drei Ellen auf die Spitze seines Schreibpultes hinzusetzen, so daß ich mich beinahe seinem Gesichte gegenüber befand. So habe ich mehrere Unterhaltungen mit ihm gehabt. Eines Tages nahm ich mir die Freiheit, Seiner Majestät zu sagen, die Verachtung, die er gegen Europa und die übrige Welt hege, entspreche nicht den ausgezeichneten Geisteseigenschaften, die er besitze. Vernunft vermehre sich nicht durch die Größe des Körpers; wir bemerkten im Gegentheil, daß Personen von hohem Wuchse am wenigsten Verstand besitzen; unter andern Thieren ständen Bienen und Ameisen im Rufe eines größern Fleißes und Scharfsinns, als manche der größeren Geschlechter. Seine
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