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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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dabei.«
    »Albrecht! Er war sechs!«
    »Du glaubst ja nicht, was die heute mit sechs schon spielen! Egoshooter vom großen Bruder!«
    »Jule hat in dem Alter Tagebuch geschrieben. Das war zu der Zeit in. Vielleicht tun das die heutigen Zehnjährigen auch noch.« Er erhob sich und begann zwischen den T-Shirts zu suchen. »Maurice hätte ja bestenfalls etwas malen können.«
    Konzentriert untersuchten sie die Bücher im Regal, die Kleider über dem Stuhl, doch nirgendwo fand sich ein interessanter Hinweis.
    Ächzend bückte sich der große Hauptkommissar, um unters Bett sehen zu können und Skorubski tat es ihm gleich. »Nichts. Der Kleine hat nur einen Malblock hier runtergeschoben.«
    Nachtigall tastete den Matratzenschoner auf dem Lattenrost ab. »Hier ist etwas.« Er rappelte sich wieder auf und schlug die Matratze zurück. Nichts.
    »Dieses Mädchen ist ganz schön gerissen. Aber gut, es ist natürlich auch eine Menge Kreativität gefragt, wenn ich etwas verbergen möchte, das Zimmer aber teilen muss.« Akribisch befühlte er die dicke Auflage, runzelte die Stirn, zog das Spannbetttuch ab und schnalzte zufrieden mit der Zunge.
    Skorubski sah neugierig zu ihm hinüber und beobachtete, wie Nachtigall den Reißverschluss am Bezug der Matratze öffnete und triumphierend ein kleines Buch hervorholte.
    »Wetten, das ist ein Tagebuch.« Er schlug es auf.
     
    Um die winzige, akkurate Schrift entziffern zu können, würde er die Lichtverhältnisse verbessern müssen. Als Nachtigall die Nachttischlampe einschaltete, begann sie eine zarte Melodie zu spielen und Schattenfiguren huschten über die Wände.
    »Was ist das denn?«, lachte Skorubski leise. »Gerippe? Totenköpfe? Zum Einschlafen meiner Meinung nach eher nicht das Richtige!«
    »Ich denke, diesen Einsatz für den Schirm hat sie selbst gebastelt«, murmelte Nachtigall betroffen. »Ein Skelett, gekreuzte Knochen, Totenköpfe in verschiedenen Größen – so etwas gibt es ganz sicher nicht als Zubehör.«
    »Das ganze Jahr über Halloween!«, kicherte der Freund.
    »Entweder das oder eine krankhaft morbide Veranlagung.« In Nachtigalls Stimme hatte sich unüberhörbar Besorgnis geschlichen. Er schaltete die Lampe aus und entfernte den Schirm, um ihn besser ansehen zu können.
    »›Maurice‹!«, las er schockiert. »Du lieber Himmel! Sie hat seinen Namen darauf geschrieben, damit er wusste, dass er auf diesem Lampenschirm zu sehen war! Sieh dir das an: Dieser Kopf stammt sicher aus einem Foto. Sie hat ihn ausgeschnitten und einen Totenkopf daraus gemacht. Diese Knochen sehen aus wie aus einem Bio-Buch oder einer wissenschaftlichen Zeitschrift.«
    »Annabelle ist demnach nicht gerade das, was man sich als große Schwester wünscht«, kommentierte Skorubski kopfschüttelnd.
    »Jedes Mal, wenn sie die Lampe einschaltete, hat er gesehen, wie sehr sie ihn hasst.«
    »Warum haben denn die Großeltern das nicht bemerkt?«
    »Weil man diesen zusätzlichen Schirm sekundenschnell verschwinden lassen kann. Es ist ja nur ein flinker Griff.«
    »Der Junge hätte es Oma und Opa erzählen können«, insistierte Skorubski.
    »Und als Petzer dastehen. Nein, das kam wohl nicht in Betracht. Außerdem wäre der Schirm nicht zu finden gewesen, man hätte geglaubt, er will Annabelle nur anschwärzen.«
    Sie schwiegen betreten.
    »Kein Wunder, dass Maurice gern weit fort von hier wollte. Ich glaube, er hat sich vor seiner Schwester gefürchtet. Vielleicht hat er jeden Abend und in jeder Mittagsstunde wimmernd hier im Bett gelegen, die Decke über den Kopf gezogen, und gewartet, dass dieser Albtraum ein Ende hat«, flüsterte Nachtigall voller Entsetzen. »Bestimmt hat er dabei gezittert. Das konnte sie von ihrem Bett aus sehen und lachte ihn gnadenlos aus. So etwas nennt man Psychoterror. Wie hätte er sich auch wehren können?«
    »Rache! Schau mal, was in diesem Malblock gelegen hat!«
    Nachtigalls Hände zitterten leicht, als er den Stapel Fotografien durchging. »Er hat es ihr heimgezahlt.«
    Es handelte sich um einige Schnappschüsse der Familie aus glücklicheren Tagen. Vater, Mutter und zwei Kinder. Die Eltern strahlten stolz in die Kameralinse.
    »Wahrscheinlich war Mühlberg der Fotograf«, mutmaßte Skorubski.
    Und auf allen Bildern war Annabelle mit dicken, schwarzen Filzstiftstrichen ausgelöscht worden.

25
    Das Brummen des Handys schien in dieser Atmosphäre unerträglich laut.
    »Ja!«, meldete sich Nachtigall, verärgert über die Störung.
    »Michael hier. Wir haben

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