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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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»Außerdem steht es mir frei, jederzeit ein Kind zu adoptieren. Oder ich könnte mit der Tradition brechen und Annabelle als Erbin einsetzen. Bisher waren solche Überlegungen nicht notwendig. Die Gieselkes haben zuverlässig männliche Nachkommen produziert!«
    »Die Neuregelung würde Ihr Vater akzeptieren?«, fragte Nachtigall erstaunt.
    »Die Frage stellt sich wohl kaum. Bis dieser Erbfall eintritt, wird mein Vater keinen Einspruch mehr einlegen können – er wird zu diesem Zeitpunkt tot und verrottet sein!«
     
    Annabelle, die plötzlich in der Tür stand, ließ nicht erkennen, ob sie die letzten Worte ihres Vaters gehört hatte.
    Johannes Gieselke war aufgesprungen und schlang liebevoll seine Arme um die zarte Gestalt, drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Peter Nachtigall registrierte die besitzergreifende Geste ebenso wie Annabelles Gleichgültigkeit. War diese Kälte Ausdruck ihrer momentanen psychischen Verfassung oder vielleicht eher Grundschwingung in der Beziehung zu ihrem Vater?
    »Der Polizist möchte mit dir sprechen. Ich warte auf dem Gang. Wenn du dich nicht mehr mit ihm unterhalten möchtest, kommst du einfach raus zu mir. Du musst nicht bei ihm bleiben.« Johannes Gieselke versuchte, Blickkontakt zu seiner Tochter aufzunehmen, doch das Mädchen sah durch ihn hindurch. Nichts deutete darauf hin, dass sie seine Worte überhaupt gehört hatte.
    Der Vater senkte deprimiert den Kopf.
    Leise schloss er die Tür hinter sich.
     
    Nachtigall legte die Zeichnung auf den Tisch und beobachtete, wie Annabelles Augen blitzschnell darüberhuschten. Das Mädchen setzte sich aufs Bett und baumelte mit den Beinen, wie zu einer Musik, die nur sie hören konnte. Sie hatte sich wieder in sich selbst zurückgezogen.
    Peter Nachtigall wusste sehr genau, was nun zu tun war. Er atmete tief durch, schob den Besucherstuhl nahe ans Bett und nahm Platz.
    »Vielen Dank für das Bild. Ich weiß, dass du es gemalt hast, um mir bei der Suche nach dem Täter zu helfen. Es gibt aber ein paar Dinge, die ich mit dir klären muss. Sie sind sehr wichtig. Du willst nicht sprechen, das ist ganz in Ordnung. Wir werden es anders angehen. Macht es dir etwas aus, meine Hand zu nehmen?«, begann er mit seiner angenehmen Bassstimme ein einseitiges Gespräch, von dem er wusste, dass es bis zum Ende eine Art Monolog bleiben würde. Er legte seine große Hand neben Annabelle auf die Bettdecke.
    »Wir könnten nämlich auch so miteinander reden, wenn du willst. Ich erzähle dir eine Geschichte und du drückst meine Hand immer dann, wenn etwas nicht stimmt. Solange ich die Wahrheit sage, musst du nur zuhören.«
    Bei seiner eigenen Tochter hatte diese Methode immer gut funktioniert.
    Dachte die Kleine nach? Es kam ihm so vor, als sei der Ausdruck in ihren Augen nun wacher, interessierter. Und plötzlich, wie zufällig, ließ sie ihre winzige Hand auf seine gleiten. Nachtigall war die helle Aufregung, die er in dieser Sekunde empfand, nicht anzusehen.
    »Ich war heute in eurem Zimmer bei Oma und Opa. Und ich habe auch die Lampe eingeschaltet. Das solltest du wissen, bevor ich mit der Geschichte beginne. Ich spiele mit offenen Karten.«
    Die zarten Finger zuckten, blieben aber liegen.
    »Es ist nicht leicht, wenn man allein in einer Familie aufwächst. Das Mädchen, von dem ich berichten möchte, hatte nur Mama und Papa als Spielgefährten – und die hatten nicht so viel Zeit für solche Dinge. Sehnsüchtig wünschte sich das Mädchen einen Hund oder wenigstens eine Katze, damit sie jemanden hatte, der mit ihr rumtoben wollte. Hund oder Katze würden ihr allein gehören, träumte sie manchmal, und immer tun, wozu sie Lust hätte.«
    Wieder spürte er, wie die Finger flatterten.
    »Doch die Eltern erlaubten kein Haustier. Das war traurig, denn plötzlich kümmerten sich die beiden noch weniger um das Mädchen, hatten noch seltener Zeit für Spiele. Die Kleine wurde einsam. Eines Tages erzählten sie ihr, sie bekäme zwar kein Haustier, aber einen kleinen Bruder. Nun ja, dachte sie, vielleicht wird der ja ganz lustig.«
    Nachtigall machte eine kurze Pause. Nun käme der für Annabelle unangenehme Teil.
    »Aber die Eltern hatten vergessen zu erwähnen, dass man mit so einem Baby nicht richtig spielen kann. Der Bruder war wehleidig, quengelte ständig, wurde durch die Aufmerksamkeit aller auch noch dafür belohnt. Wenn sie mal nörgelte, bekam sie Ärger, man verlangte von ihr, zu zeigen, wie sich eine große Schwester benimmt. Sie begann, ihren

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