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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Steinhauer
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Bruder zu hassen. Nicht nur so ein bisschen, sondern aus tiefstem Herzen.«
    Annabelles Lippen waren vom Aufeinanderpressen weiß, ihre Augen geschlossen. Peter Nachtigall wusste, dass sie ihn die Tränen, die darin standen, nicht sehen lassen wollte. Die Hand lag ruhig auf der seinen.
    Er näherte sich dem Kern der Geschichte. »Es gab viele Dinge, die das Mädchen sich wünschte, aber nichts davon so brennend wie das Verschwinden des widerlichen Bruders. Doch er blieb, wuchs langsam heran, krabbelte in alle Ecken, zerfetzte Lieblingsposter und sabberte auf die Seite im Poesiealbum, die ihr Kunstlehrer, wie sie hoffte, liebevoll für sie gestaltet hatte. Er war eine einzige Plage. Doch eines Tages zog ihre Mutter aus und nahm den Quälgeist mit. Erst dachte sie, das sei nun die Erfüllung ihres Wunsches, doch sie hatte sich getäuscht. Ihr Vater war traurig. So traurig, dass er sich nur noch mit sich selbst beschäftigte. Und der Bruder war eben nicht endgültig verschwunden. Er lebte nur in einem anderen Teil der Stadt. Selbst wenn er nicht bei ihr wohnte, drehte sich alles um ihn! Unfassbar! Sie konnte so nett sein, wie sie wollte, das wurde nie bemerkt. Niemand nahm sie überhaupt noch zur Kenntnis. Als der Junge verkündete, er wolle bei seiner Mutter bleiben und mit der neuen Familie auswandern, hielt sie das für den Zeitpunkt, an dem er nun tatsächlich verschwände. Aber nein. Wieder stürzte diese Mitteilung ihren Vater in eine tiefe Krise. Und langsam begann sich die Schwester zu fragen, ob sie wirklich eine gute Wahl getroffen hatte. Kanada hätte sie auch gereizt, der neue Mann von Mama war cool und immer gut gelaunt, Mama selbst lachte auch viel mehr als früher und vielleicht wurde das neue Baby ja ein Mädchen! Bloß nicht noch ein Bruder! Sie empfand neben ihrem Hass auf diesen Versager, der ohne Mamas Hilfe völlig aufgeschmissen war, plötzlich noch etwas anderes: Neid.«
    Er beobachtete ihr Mienenspiel. Und in diesem Moment hob sie langsam die Lider und sah ihn an. Emotionslos.
    »Sie begann, ihren Bruder bei jedem Treffen zu schikanieren. Ließ ihn spüren, dass sie nichts lieber hätte als seinen Tod. Seine Versuche, ihr das mit gleicher Münze heimzuzahlen, waren lächerlich kläglich. Nachts, wenn er schlief, träumte sie von einer Zukunft ohne ihn, malte sich aus, wie er sterben könnte.« Bevor er jetzt den letzten Satz anhängte, gönnte er ihr erneut eine kurze Pause. »Und eines Tages fand sie ihn in seinem Blut und fühlte sich grauenhaft. Ihr Traum war in Erfüllung gegangen, doch sie war darüber entsetzt, fühlte sich schuldig. War schuldig.«
    Noch immer keine Reaktion. Hatte sie womöglich die Kommunikationsregeln nicht verstanden?
    »Sie hatte ihn getötet!«
    Überraschend kraftvoll umklammerten ihre Finger seine Hand.

32
    »Was haben wir?«, fragte Nachtigall wie immer und sah in die Runde. »Fangen wir mit Wolfgang Maul an.«
    »Es sieht nicht so aus, als gäbe es einen Zusammenhang zwischen den Taten«, begann Michael Wiener. »Die Gruppe um Wolfgang Maul hat kein Interesse an sauren Gurken.«
    »Maul war bei Gieselke angestellt. Das scheint tatsächlich der einzige Berührungspunkt zu sein. Meiner Meinung nach ist das Zufall«, erklärte Albrecht Skorubski.
    »Das ist so nicht ganz richtig«, korrigierte Nachtigall. »Olaf Gieselke ist passionierter Jäger. Entweder steht er auf der Seite der Wölfe oder eben nicht. Wenn nicht, gehört er zu den Feinden der Wolfsfreunde.«
    »Ja, das haben wir ihn noch gar nicht gefragt! Aber die Wolfsaktivisten glauben, der Bauer war’s.«
    »Das haben sie mir auch erzählt«, bestätigte Skorubski. »Aber ehrlich gesagt ist mir diese Lösung zu einfach. Ferdinand Kramstätter war wütend. In seinem Zorn hat er Dinge gesagt, die er so nicht gemeint hat.«
    »Für dich ist er also nicht mehr verdächtig?«, hakte Nachtigall nach.
    »So weit will ich auch nicht gehen! Er hat kein Alibi für die Mordnacht, er wusste offensichtlich, dass Wolfgang Maul die Wache übernommen hatte – nein, ganz streichen würde ich ihn nicht.«
    »Gibt es schon ein Ergebnis aus dem Labor? Zum Beispiel, was die Haare angeht, die beim ersten Überfall auf die Herde gefunden wurden? Der Mord bekommt ein neues Gesicht, wenn sich herausstellt, dass der erste Riss aufs Konto eines Hundes geht«, sagte Nachtigall und schrieb den Namen Ferdinand Kramstätter auf einen Papierstreifen, den er neben den Tatortfotos aus dem Wald anheftete.
    »Gibt es denn bei uns wirklich

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