Gut gegen Nordwind
unterhaltet euch gut!« Und wissen Sie, warum er das sagen würde?
Eine Minute später
AW:
Weil ihm egal ist, was Sie machen?
40 Sekunden später
RE:
Weil er mir vertraut!
Eine Minute später
AW:
Vertraut worauf?
50 Sekunden später
RE:
Dass ich nichts tun werde, was mein Zusammenleben mit ihm in Frage stellt oder irgendwann einmal in Frage stellen könnte.
Neun Minuten später
AW:
Ach ja, richtig, Sie begeben sich ja nur in Ihre familiär vernachlässigbare »Außenwelt«. Die Innenwelt bleibt unangetastet. Emmi, angenommen Sie verlieben sich in mich und ich mich in Sie, angenommen wir haben eine Romanze, Affäre, Liebschaft ... nennen Sie es, wie Sie wollen, Emmi, machen Sie dann auch nichts, was Ihr Zusammenleben mit Bernhard in Frage stellt, oder irgendwann einmal in Frage stellen könnte?
Zwölf Minuten später
RE:
Leo, Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus: Ich verliebe mich nicht in Sie!!!! Es entwickelt sich keine Romanze, Affäre, Liebschaft oder wie immer Sie es nennen wollen! Es ist einfach ein Treffen. Wie wenn man einen sehr guten alten Freund trifft, den man schon lange nicht gesehen hat. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass man ihn nicht schon lange nicht gesehen hat, sondern dass man ihn überhaupt noch nie gesehen hat. Statt »Leo, du siehst noch immer so aus«, sage ich: »Leo, so sehen Sie also aus!« So sieht’s aus!
Acht Minuten später
AW:
Sie meinen, Sie würden sich damit zufrieden geben, würde nur ICH mich in SIE verlieben, einseitig sozusagen. Dann würde ichIhnen bestimmt ein Leben lang glühend heiße, schwärmerische, herzzerreißende E-Mails schreiben. In weiterer Folge Gedichte, Lieder, vielleicht sogar Musicals und Opern, voll unerfüllter Leidenschaft. Dann könnten Sie zu sich oder zu Bernhard oder zu beiden sagen: Siehst du, war doch gut, dass ich ihn damals getroffen habe.
40 Sekunden später
RE:
Marlene muss einiges bei Ihnen angerichtet haben!
Viereinhalb Minuten später
AW:
Lenken Sie nicht ab, Emmi. Marlene hat mit dieser Angelegenheit ausnahmsweise einmal nicht das Geringste zu tun. Es ist effektiv eine Sache zwischen uns beiden, oder sagen wir: eine Sache zwischen uns dreien. Ihr Mann gehört nämlich peripher auch irgendwie dazu, da können Sie sich noch so verbissen dagegen wehren. Und ich glaube Ihnen einfach nicht, dass es Zufall ist, dass Sie mich ausgerechnet jetzt treffen wollen, wo Sie Ihren Mann weit weg in den Bergen wähnen.
Zwei Minuten später
RE:
Nein, es ist kein Zufall. Ich habe diese Woche einfach mehr Zeit für mich zur Verfügung. Zeit, die ich gerne mit Menschen verbringe, die ich mag. Zeit für Freunde, oder solche, die es noch werden könnten. Apropos Zeit: Es ist gleich acht Uhr. Ich muss weg, Mia wartet sicher schon. Schönen Abend, Leo.
Fünf Stunden später
RE: Leo?
Hallo Leo, sind Sie zufällig noch wach? Trinken Sie noch ein Glas Wein mit mir? Leo, Leo, Leo. Mir geht es gar nicht gut. Emmi.
Dreizehn Minuten später
AW:
Ja, ich bin noch wach. Das heißt: Ich bin schon wieder wach. Ich habe nämlich den Emmi-Weckruf aktiviert. Ich habe das Klangzeichen der Verkündigung des Einlangens einer neuen E-Mail auf volle Lautstärke gedreht und den Laptop neben meinen Kopfpolster gelegt. Soeben hat es mich aus dem Bett gehoben.
Emmi, ich habe gewusst, dass Sie mir heute Nacht noch schreiben! Wie spät ist es eigentlich? – Ach, erst kurz nach Mitternacht. Lange haben Sie und Mia aber nicht durchgehalten! (Wein trinke ich nicht mehr. Ich habe schon Zähne geputzt. Und Wein auf Zahnpasta ist wie Nudelsuppe zum Frühstückskaffee.)
Zwei Minuten später
RE:
Leo, ich bin sooooooo froh, dass Sie sich melden!!! Wieso haben Sie gewusst, dass ich Ihnen noch schreibe?
Sieben Minuten später
AW:
1.) Weil Sie gerne Zeit mit Menschen verbringen, die Sie mögen. Zeit »mit Freunden oder solchen, die es noch werden könnten«.
2.) Weil Sie alleine zu Hause sind.
3.) Weil Sie sich einsam fühlen.
4.) Weil der Nordwind bläst.
Zwei Minuten später
RE:
Danke, Leo, dass Sie mir nicht böse sind. Ich habe Ihnen gestern fürchterlich nüchterne E-Mails geschrieben. Sie sind kein normaler Freund für mich. Sie bedeuten mir viel, viel mehr. Sie sind für mich. Sie sind. Sie sind. Sie sind der, der mir meine ungestellten Fragen beantwortet: Ja, ich fühle mich einsam, und deshalb schreibe ich Ihnen!
40 Sekunden später
AW:
Und wie war es mit Mia?
Zweieinhalb
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