Gut gegen Nordwind
Landwein ist gut, Emmi! Wir trinken alle viel zu selten französischen Landwein. Viel zu selten und viel zu wenig. Würden wir öfter und mehr französischen Landwein trinken, wären wir alle glücklicher, und wir könnten besser schlafen. Sie haben eine sehr erotische Stimme, Emmi. Ich mag Ihre Stimme. Marlene hatte auch eine sehr erotische Stimme, aber anders. Marlene ist viel kühler als Sie, Emmi. Marlenes Stimme ist tief, aber kalt. Emmis Stimme ist tief und warm. Und sie sagt: Whiskey. Whiskey. Whiskey. Trinken wir noch einen auf uns! Ich trinke französischen Rotwein. Emmi, ich werde alle IhreE-Mails noch einmal lesen, und sie werden völlig anders klingen. Ich habe Ihre E-Mails bisher immer mit der falschen Stimme gelesen. Ich habe sie immer mit Marlenes Stimme gelesen. Emmi war für mich Marlene, Marlene ganz am Anfang, wo noch alles offen war. Da war nur Liebe und sonst gar nichts. Alles war möglich. Geht es Ihnen gut, Emmi?
Fünf Minuten später
RE:
Oh nein! Leo, müssen Sie so schnell trinken? Können Sie nicht ein bisschen länger durchhalten? Falls Sie mit der Stirn schon auf den Buchstaben liegen: Gute Nacht, mein Lieber. Es ist fantastisch mit Ihnen. Fantastisch, aber manchmal – und zwar immer dann, wenn es gerade spannend wird – eindeutig (alkoholbedingt) zu kurz. Na ja, wenigstens habe ich den Anrufbeantworter. Ich werde mir vor dem Schlafengehen noch ein paar Mal Leo »So hat der Typ die ganze Zeit mit mir gesprochen?« Leike geben. Das ist sicher gut gegen Nordwind.
Zwölf Minuten später
AW:
Emmi, noch nicht schlafen gehen! Ich bin noch munter, es geht mir gut. Emmi, kommen Sie zu mir! Trinken wir noch ein Glas. Flüstern Sie mir »Whiskey, Whiskey, Whiskey« ins Ohr. Sagen Sie: »Zehennägel.« Zeigen Sie hin. Ich sage: Das sind also die berühmten Emmi-Zehen der berühmten Emmi-Füße mit der berühmten Emmi-Schuhgröße 37. Ich verspreche: Ich werde nur meine Hand um Ihre Schulter legen. Nur eine Umarmung. Nur ein Kuss. Nur ein paar Küsse, sonst gar nichts. Ganz harmlose Küsse. Emmi, ich muss wissen, wie Sie riechen. Ich habe Ihre Stimme im Ohr, jetzt brauche ich Ihren Geruch in der Nase. Ganz im Ernst, Emmi: Kommen Sie zu mir. Ich bezahle das Taxi. Nein, das wollen Sie ja nicht. Egal, irgendwer wird das Taxi schon bezahlen. Hochleitnergasse 17, Top 15. Kommen Sie zu mir! Oder soll ich zu Ihnen kommen? Ich komme auch zuIhnen! Nur einmal riechen. Nur einmal küssen. Kein Sex. Sie sind verheiratet, leider! Kein Sex, ich verspreche es. Bernhard, ich verspreche es! Ich will nur Ihre Haut riechen, Emmi. Ich will gar nicht wissen, wie Sie aussehen. Wir machen kein Licht an. Ganz im Dunklen. Nur ein paar Küsse, Emmi. Ist das was Böses? Ist das Betrug? Was ist Betrug? Eine E-Mail? Oder eine Stimme? Oder ein Geruch? Oder ein Kuss? Ich möchte jetzt bei Ihnen sein. Ich möchte mit Ihnen umschlungen sein. Nur eine Nacht mit Emmi verbringen. Ich mache die Augen zu. Ich muss nicht wissen, wie sie aussieht. Ich muss sie nur riechen und küssen und spüren, ganz nah. Ich lache vor Glück. Ist das Betrug, Emmi?
Fünf Minuten später
RE:
»So hat der Typ die ganze Zeit mit mir gesprochen?« Gute Nacht, Leo. Es ist schön mit Ihnen. Verblüffend schön. Wahnsinnig schön!!! Ich kann mich daran gewöhnen. Ich hab mich daran gewöhnt.
KAPITEL ACHT
Am nächsten Morgen
Kein Betreff
Guten Morgen, Leo. Schlechte Nachricht. Ich muss nach Südtirol. Bernhard liegt im Spital. Ein Hitzekollaps oder so etwas Ähnliches, sagen die Ärzte. Ich muss hinfahren und die Kinder abholen. Ich hab Kopfweh. (Zu viel Whiskey!) Ich danke Ihnen für die schöne Nacht. Ich weiß auch nicht, was »Betrug« ist. Ich weiß nur, dass ich Sie brauche, Leo, ganz, ganz dringend. Und mich braucht meine Familie. Ich fahre jetzt. Ich melde mich morgen wieder. Hoffentlich geht es Ihnen gut nach dem vielen französischen Landwein ...
Am nächsten Tag
Betreff: Alles okay
Keine E-Mail von Leo? Ich wollte nur sagen: Wir sind wieder zurück. Bernhard ist auch mitgekommen. Es war ein Kreislaufkollaps, aber er ist schon wieder auf den Beinen. Melden Sie sich, Leo, bitte!!!
Zwei Stunden später
Betreff: An Hr. Leike
Sehr geehrter Herr Leike, es kostet mich große Überwindung, Ihnen zu schreiben. Ich gestehe, ich geniere mich dafür, und mit jeder Zeile wird meine Verlegenheit, in die ich mich selbst bringe, größer werden. Ich bin Bernhard Rothner, ich glaube, ich muss mich Ihnen nicht näher vorstellen.
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