Gut genug - Erzählung
außer Amis und Russen und Juden, Araber gab es ja keine, auch Japaner nicht sehr gut leiden konnten, aber Bea hat keinen Krach angefangen, weil es nicht um einen bestimmten Japaner ging, sondern nur um alle Japaner, die zwar diszipliniert und sehr höflich, aber eine bedrohliche Wirtschaftsmacht sind. Ali war schwanger. Sie hat gewartet, bis wir alle beim Essen saßen, und dann hat sie es uns gesagt. Flo kroch wie irre durchs Zimmer und fing gerade an, sich an allem festzuhalten, um auf die Beine zu kommen, so daß ich es fast verpaßt hätte, weil ich die ganze Zeit zusah, daß er möglichst keine Sachen von meinen Eltern kaputtmacht oder etwas auf ihn fällt, die Messing-Stehlampe oder der Baum, und außer dem Baum gab es noch eine Palme. Er war sehr schnell geworden. Ich auch. Ali hat gesagt, übrigens kriege ich auch ein Kind, und mein Vater hat gesagt, das ist ja mal was Neues. Ich war überrascht, weil Ali wegen Flo die schlimmsten Sachen gedacht hatte, und daß sie den Mut jetzt hätte, wo sie vorher geträumt hatte, immer sei irgendwas offen, oder ein Flügel sei ab, aber sie dachte wohl nicht mehr daran. Sie war sehr stolz. Ich habe keine Ahnung, wieso jemand stolz darauf sein kann, aber sie war es wirklich. Sie war so stolz, daß sie beim Gehen die Füße schon watschelig nach außen drehte und nur noch breitbeinig sitzen konnte. Bei jedem Schritt, den sie machte, sank sie mit dem ganzen Körper nach links oder rechts, um das Gewicht zu verteilen. Es war mir schon vorher aufgefallen, aber da dachte ich noch, es ist ein Tick aus dem Krankenhaus, eine Joga-Übung oder was sie dort machen, um die Nachtschichten zu überstehen.
Ali kann nichts dafür, aber Bea ist meine Lieblingsschwester. Und Bea würde nach Tokio gehen.
Meine Mutter hatte etwas in Aspik gemacht, weil die Angehörigen mithelfen müssen, daß nach den Kuren nichts schief- und danebengeht, sie hatten meinem Vater lauter Broschüren für meine Mutter mitgegeben, und tatsächlich hielt sie sich mehr oder weniger an die Spielregeln und Rezepte. Jeden Tag gingen sie schwimmen und endlos im Wald herum. Also gab es diese Sachen in Aspik, weil Gelatine praktisch cholesterinfrei ist, und während des Essens habe ich Flo auf dem Schoß gehabt, damit er nicht doch noch den Baum umreißt. Danach hat meine Mutter ihn genommen und ihm ein Lätzchen um den Hals gebunden. Flo brüllt. Meine Mutter sagt, jetzt kommt die Trotzzeit. Du mußt ihn nicht so verwöhnen. Ich sage, er mag keine Lätzchen. Meine Mutter hat Bananenquark für Flo gemacht und für uns andere Buttermilchstolle. Sie versucht, Flo zu füttern, aber er spuckt und brüllt. Er will den Löffel halten. Meine Mutter gibt ihm den Löffel nicht, weil sie denkt, er sticht ihn sich ins Gesicht, womöglich direkt in die Augen. Oder er panscht mit dem Quark herum. Sie sagt, willst du wohl lieb sein. Er bäumt sich auf ihrem Schoß mit durchgebogenem Rücken und will nicht lieb sein, sondern sofort den Löffel. Ali sagt, ist der süß, dabei findet sie ihn bloß gräßlich und sieht ihn geekelt an. Ich sage, keiner wird schöner davon, daß er brüllt wie am Spieß. Mein Vater sagt, laß doch das Kind. Bea ist im Niemandsland. Sie gießt sich von dem Burgunder nach. Sie sagt, ich war vor kurzem in Beaune, weil der Wein aus Beaune ist. Ich sage, ich war vor Jahren einmal in Beaune. Bea sagt, Beaune ist ganz schön. Ansonsten ist die gesamte Provinz verrottet. Flo streckt beide Arme in meine Richtung und brüllt. Ali sagt, irgendwas machst du verkehrt. Ich sage, wieso ich, und nehme Flo auf den Schoß, meine Mutter ist still und beleidigt, weil ich dem Kind die Trotzzeit nicht abgewöhne und es keinen Bananenquark ißt. Ihr habt ihn so gern gegessen. Flo versteckt sein Gesicht in meinem Pullover. Ali sagt, was hat er nur; ich glaube, meines wird anders. Ich sage, wie nämlich. Ali scheint zu wissen, wie es geht. Und sie weiß es tatsächlich. Sie weiß es auf eine Art, daß ich meinen Ohren nicht traue. Sie erzählt uns genau, wie es geht, und als sie zwischendrin einmal Luft holen muß, um dann weiterreden zu können, sage ich, mein Gott, Ali, wie kommst du nur auf den Quatsch, weil sie eine Mischung aus Thomas Mann und Rousseau erzählt. Vorletztes letztes Jahrhundert. Es wimmelt in ihrer Erzählung von Hausangestellten und Kinderfrauen, reiner Natürlichkeit und kindheitsgeprüften Sicherheitsmöbeln vom technischen Überwachungsverein. Ohne Ecken und Kanten. Irgendwann ist sie bei Montessori. Sie
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