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Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
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mache ich mehr Tippfehler in die Arbeiten von den Studenten, als wenn ich es gar nicht weiß. Manchmal habe ich mich ins Bett gelegt und gelesen und nachgedacht. Wenn sie wiederkamen, hat Flo getrunken und angefangen, sich die Sachen beizubringen, die er gerade übte, und eines Tages, als es zu regnen anfing, während ich unterwegs war, habe ich das Museum entdeckt. Von dem Tag an bin ich mit Flo ziemlich oft in Museen gegangen. Natürlich habe ich es A.C. verraten und gesagt, man kann wunderbar ins Museum gehen. In alle Museen. Zu der Zeit hat es gerade sehr viele Museen gegeben, weil je mehr Museen eine Stadt hatte, um so weltstädtischer war sie, und jede Stadt wollte möglichst so weltstädtisch sein, wie es ging, also weltstädtischer als die anderen, und hat eine Menge Museen gebaut, weil dann mehr Glanz dazu kam und auch noch vielleicht Touristen, und jedenfalls gab es einen Haufen Museen, und kein Mensch ging jemals hin außer am Samstag und Sonntag und Schulklassen manchmal wochentags, wenn sie Anschauungsunterricht machen. Also waren die Museen riesig und leer. Es war eine gute Entdeckung, weil Flo zu der Zeit darauf kam, daß man auch schnell herumkriechen kann, und dafür brauchst du mehr Raum. Also Fläche. Die Treppen in den Museen sind auch meistens gut, wie in Vom Winde verweht, wo Scarlett aber schon ziemlich am Ende, ich glaube besoffen, runterfliegt und eine Fehlgeburt kriegt, solche breiten, sanften Treppen mit festen stabilen Geländern dran, und also hat sich Flo in dem Herbst noch schnell Treppen beigebracht, die Museumswärter haben erst nicht gewußt, wie sie es finden sollen und ob es vielleicht Kulturmißbrauch ist, aber zu der Zeit tat die Welt, als wäre sie rund und bunt, und die Stadtämter hatten zu ihren nagelneuen Museen eine Gebrauchsanweisung herausgegeben, in der stand, daß von jetzt an ungefähr alles, was du dir denken kannst, Kultur ist. Es war lange nach der Tomatensuppendose, und wir hatten sie schon in der Schule gehabt, aber bis so eine Tomatensuppendose im Stadtamt landet, das braucht leicht seine zwanzig bis dreißig Jahre. Die Museumswärter sind meistens Rentner gewesen, die sich in den leeren Palästen mit all den Alarmanlagen gelangweilt haben, und so haben sie nichts dagegen gesagt, daß Flo unerlaubt Treppen gelernt hat. Manchmal sind auf dem Heimweg die Lichter schon angegangen, und dann kommen die Leute eilig und angespannt aus den Büros, um noch schnell einzukaufen und dann mit der U-Bahn raus und heim. Man wird automatisch auch eilig und angespannt, als käme man aus dem Büro und wollte jetzt möglichst schnell heim, dabei wollte ich gar nicht heim, sondern noch mindestens zwei Stunden schaffen.
    Am Abend hat Flo manchmal etwas geschlafen, bevor er nachts wach wurde. Wenn A.C. da war, haben wir uns an den Küchentisch gesetzt und nachgedacht. Wir haben uns erzählt, was wir gemacht hatten und was Flo gemacht hatte. Flo hat alles nicht nur einmal, sondern mehrere tausend Male gemacht, und wenn er das eine mehrere tausend Male gemacht hat, hat er mit etwas anderem angefangen und es wieder mehrere tausend Male gemacht. Herrschaft. Und Reproduktion. Und dann hast du abends am Küchentisch mehrere Möglichkeiten: entweder du erzählst dir alles nur einmal, weil es beim Mehrere-Male-Erzählen nicht wesentlich anders wird, aber dann stimmt es natürlich nicht, weil der Witz gerade im Mehrere-Tausend-Male liegt, oder du erzählst alles wie im Leben, also genauso oft, und das hältst du im Kopf nicht aus, weil du es schon im Leben nicht immer gut aushältst, daß sie alles immerzu wiederholen müssen, und weil sie den Rest davon noch nicht können, also die Töpfe wieder zurück in den Schrank, machst du es auch ein paar tausend Male. Kein Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, erzählt es so oft, wie er es macht. Aber wenn du nachdenkst, bleibt dir fast gar nichts übrig, denn wenn du es nicht so oft erzählst, weißt du gar nichts mehr zu erzählen. Und wenn du nichts erzählst, ist es, als hättest du nichts gemacht. Also haben wir es erzählt, aber es ist entsetzlich gewesen.
    Einmal hat A.C. gesagt, du hast jetzt schon mindestens zehnmal erzählt, wie er mit dem Löffel nicht den Mund trifft. Ich habe gesagt, ich muß es noch sehr oft erzählen. Für heute noch etwa neunzig und dazu die hundert von gestern. A.C. hat gesagt, ich finde zehnmal genug. Ich habe gesagt, laß uns über was anderes sprechen. Aber um über was anderes sprechen zu können, mußt du was

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