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gute freunde - boese freunde

gute freunde - boese freunde

Titel: gute freunde - boese freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Reichart
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F-Redakteurin lehnt sich zurück und schüttelt den Kopf. »Nichts zu erkennen. Wir können den Film nicht herausgeben. Vielleicht ist er echt, vielleicht aber auch eine Inszenierung. Wir haben keinen Beweis.« An diesem Abend bringen die Nachrichtensendungen des ZDF andere, als authentisch bewiesene Bilder von der ägyptischen Revolution. Ein privater Fernsehsender hat die Skrupel nicht, der »Mann auf der Straße« wird dort in den News zum Beleg für den brutalen Umgang der Regimetreuen mit den Aufständischen.

    Das Finden der Wahrheit, noch nie eine einfache Aufgabe für Journalisten, ist in Zeiten des Internets noch schwieriger geworden. Überall in der Welt werden die Fernseh- und Zeitungsredaktionen aus den sozialen Netzwerken mit Hilferufen |182| von Freunden in Not überschüttet. 140 Twitter-Zeichen, schnell noch abgeschickt, bevor die Polizisten an der Haustür klingeln und die Verhaftung droht. Facebook-Aufrufe zu geheimen Demonstrationen, Handyvideos von wütenden Fäusten, im Hintergrund prasselnde Gewehrsalven – viel Engagement, viel persönliches Leid, viel Subjektivität.

    »Im Internet muss man besonders vorsichtig sein, dort ist so viel Blödsinn unterwegs. Aber oft ist es die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas von den Vorgängen in Krisengebieten zu erfahren. Bei jedem Youtube-Video stehen wir vor der Frage: Wie gehen wir mit dem ungeprüften Material um? War das heute? Vor einem Jahr?« Die erhöhte Aufmerksamkeit, das ständige Hinterfragen hat der Koordinatorin der Hauptredaktion Aktuelles beim ZDF, Dr. Marina Kunke, eine Menge Mehrarbeit eingebracht. »Wir veröffentlichen nichts, ohne dass es zuvor von mindestens zwei anderen Quellen verifiziert wurde.«

    »Web-Revolutionen« wurden in den vergangenen Jahren die Proteste der Bevölkerung gegen ihre autoritären Regime von Teheran bis Tunis genannt. Und tatsächlich sieht es oft so aus, als ob die Politisierung der Massen vor allem durch die neuen Medien geschieht. O-Ton eines anonymen Facebook-Users, der während der ägyptischen Aufstände Anfang 2011 erfolgreich |183| Massendemonstrationen organisierte: »Das, was gerade bei uns und vorher in Tunesien passierte, wäre ohne das Internet niemals möglich gewesen. Leute wie ich, die Administratoren irgendwelcher Facebook-Seiten sind, können untereinander und mit anderen kommunizieren, ohne dass man seine Identität preisgeben muss. Ein krasses Beispiel: Wenn jemand von uns verhaftet werden würde, könnte er auch unter Folter keine Namen preisgeben.«

    |183| Ist das also in Zukunft die Chance der Demokratie: Triumph der Revolutionäre über den Despoten mithilfe der Freunde im Netz? Ganz so einfach ist das nicht. Unbestritten ist, dass die digitalen Kommunikationsmittel die »Waffen der Massenverbreitung« geworden sind: Textnachrichten, Fotos und Web-Videos tragen den Funken eines Aufstandes bis in die entlegenen Teile der Länder. Dennoch sollte man sich davor hüten, dem Internet und den Social-Media-Diensten von vornherein eine befreiende und demokratiefördernde Wirkung zuzuschreiben. Zumal die Gefahr der Manipulation groß ist – und kritische Wachsamkeit geboten.

    In der Praxis sieht das dann so aus wie zum Beispiel während der zweiten iranischen Revolution im Jahr 2009. Die Regierung in Teheran hatte alle Korrespondenten mit Hausarrest belegt oder sogar des Landes verwiesen. Neue Informationsquellen mussten gefunden werden. Beim ZDF in Mainz wurde |184| zum ersten Mal die sogenannte Grotte eingerichtet – ein Krisenreaktionszentrum, in dem alle Informationen zusammenlaufen. Koordination in der »Grotte Iran«, wie auch später der »Grotte Ägypten« oder der »Grotte Tunesien«: Marina Kunke, Doktor der Orientalistik und Meisterin der Logistik. Ein großer Stadtplan und Bilder von markanten Punkten in Teheran wurden aufgehängt und Kontakte geknüpft zu in Deutschland lebenden Persern, die mit Orts- und Sprachkenntnissen helfen konnten, sowie zu Web-Spezialisten, denen im Netz nichts fremd ist. Und dann ging es, immer unter Zeitdruck, daran, die Youtube-, Mail- und Twitter-Nachrichten zu sichten und zu bewerten.

    »Wir sahen auf einem Video Wasserwerfer und schreiende Menschen«, sagt Marina Kunke. »Wir erkannten ein Eckgebäude und ein Straßenschild. Wir suchten auf dem Stadtplan den Ort und fragten im Netz nach: Habt ihr heute an dieser Stelle eine Demonstration gesehen? Was habt ihr erlebt? Wenn mindestens drei andere Personen das Geschehen bestätigten und alle

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