Gute Leute: Roman (German Edition)
Körpers mit den Lippen zu berühren, während ich ihn nur auf den Mund geküsst habe. Mama hat mich gelehrt, mich vor Jungs in acht zu nehmen: Man muss sich sperren, sobald man die erste Bitte hört, sonst gehen die Gäule mit ihnen durch. Doch wie angenehm das war, als Maxim mit seiner Zunge über ihren Bauch, ihre Hüften und ihren Rücken gefahren ist. Diese Tschekisten sind gründliche Burschen, hast du selbst immer gesagt, und jetzt wissen wir’s: Ihre Söhne sind es auch.
Aber sie hat nicht den Mut, über all das zu sprechen. Anstatt es ihm zu erzählen, murmelt sie nur leise vor sich hin, bis er sie anfährt: »Lass doch endlich das Gemurmel sein!«
»Mach ich, Papa, keine Absicht«, flüstert sie, ehe sie in den Zug steigen.
Sie ging zurück zu ihrem Platz. Eine der beiden jungen Damen war eingeschlafen, die andere spielte mit einem Faden und wirkte gelangweilt und ein bisschen einsam. Jetzt war sie schon nicht mehr neidisch auf die Natürlichkeit, mit der die beiden jungen Dinger ihre Jugend zur Schau stellten. Wie viel Zeit blieb ihnen denn? Sie ließ sich wieder neben Podolski nieder, der leise schnarchte, jedoch seine Wange sogleich in die Mulde zwischen ihrer Schulter und ihrem Hals schmiegte. Er roch ihren Körper auch im Schlaf.
Sie schob ihn weg, er rieb sich die Augen und beklagte sich, der Waggon sei nicht geheizt.
»Stepan Kristoporowitsch hätte uns Plätze im internationalen Waggon besorgen sollen. Dort sitzt man zu zweit in einem Abteil, die Sitze sind samtgepolstert, und die Kellner bringen dir Wein und Kuchen.« Sie antwortete nicht und er schlief wieder ein.
Zur Rechten leuchteten die Lichter des Bahnhofs von Nowgorod. Einige der Schlafenden schienen die Nähe der Stadt zu spüren: Arme wurden gestreckt, Husten und Schneuzen war zu hören, schlaftrunkene Gesichter wandten sich nach rechts und nach links und raschelnd wurde in Koffern gewühlt. Ihr Gatte hingegen schlief tief und fest.
Der Zug hielt. Die beiden jungen Damen stiegen ohne ihre Koffer aus, und die Soldaten folgten ihnen. Vom Bahnsteig stürmten andere Passagiere in den Zug, wuchteten ihre Koffer in die Höhe. Ein kleiner Mann in fleckigem Arbeitsoverall hielt zwei Mädchen an den Händen, deren Hüte mit ihren Krempen die Augen verdeckten. Um den Körper hatten sie zerschlissene Wolldecken gewickelt. Wie mager diese Mädchen sind, dachte sie. Das Verlangen überkam sie, die Kleinen vor dem Wind zu schützen, sie in einem geheizten Zimmer an einem Tisch Platz nehmen zu lassen und ihnen die Teller zu füllen. Dieser Maxim! Sie erinnerte sich, mit welchem Heißhunger er vorhin die Piroschki verschlungen hatte, während es Zehntausende hungriger Mädchen in diesem Land gab.
Sie beschloss, die Mädchen in den hinteren Waggons gegen Morgen aufzusuchen. Bis es soweit war, wickelte sie sich in Wladas Offiziersmantel, rollte einen Pullover zu einer Kugel zusammen, klemmte ihn zwischen das Zugfenster und ihre Schulter und lehnte den Kopf dagegen.
Während sie den Schlaf herbeisehnte, fiel ihr ein, dass Maxim sie gebeten hatte, ihn in Kalinin zu wecken. Dass sie auch einschlafen könnte, wäre ihm niemals in den Sinn gekommen. Seit ihrer Heirat, genau genommen seit dem Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten, war er nur selten wach gewesen, während sie schlief. Nur im Krankenhaus, als sie betäubt von Schmerz- und Beruhigungsmitteln da lag, hatte er nachts auf einem Stuhl an ihrem Bett gesessen und Zeitung gelesen. Manchmal, wenn sie aufgewacht war, hatte er ihr Artikel vorgelesen, die ihm interessant erschienen, bis sie ihn bat, damit aufzuhören und ihr nur noch die Nachrichten von der Wissenschaftsseite vorzulesen. Eines Nachts hatte er ihr erzählt, Stepan Kristoporowitsch und Resnikow hätten sich an einen Redakteur der »Leningradskaja Prawda« gewandt und ihm vorgeschlagen, einen Artikel über eine mutige junge Frau zu schreiben, die sich losgesagt habe von den Mitgliedern der »Leningrader Gruppe«, unter ihnen auch ihre eigenen Eltern, weil diese sich mit Feinden des russischen Volkes verbündet hatten, worauf sie durch einen der Verräter brutal attackiert worden sei. Der Journalist sei ganz aus dem Häuschen geraten und habe geschrien: »Hier haben wir die Zwillingsschwester von Pawlik Morosow, und sie ist auch noch im Kampf verwundet worden!«
»Ich habe noch nie einen derart törichten Vergleich gehört«, hatte sie ungehalten erwidert und einen amüsierten Gesichtsausdruck aufgesetzt, um ihr Zittern zu
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