Gute Leute: Roman (German Edition)
ans Bett, darauf Brot, ein hartgekochtes Ei, Marmelade und Tee, eilte, all ihren Wünschen zu entsprechen, wälzte kühne Ideen, um ihr Freude zu bereiten. Und dennoch: Wäre jeder Grund, gegen ihn zu sticheln, ein bunter Faden gewesen, hätte man aus dem Knäuel farbenfrohe Pullover für alle Tscherkessen der Umgegend stricken können.
Eines Abends saßen sie auf der Veranda, und eine Arie von Werstowski wehte aus der Datscha von Semjon heran. Die Sopranstimme der Sängerin trieb ein zerknirschtes Lächeln auf seine Lippen, die in traurigem Flüsterton Puschkin deklamierten: »Wie hab ich ihn gestreichelt, in der Stille der Nacht, wie lachten wir gemeinsam über dein weißes Haar.«
Danach hielt er ihr einen mürrischen Vortrag über die Tscherkessen, die mit ihren Fuhrwerken den Verkehr aufhielten, und wie sie gestern einigen Urlaubern übel mitgespielt hatten, die zur Jagd in den Wald wollten. Er redete und redete, warf mit Worten nur so um sich, während die begeisterten Rufe der Spieler aus der Datscha von Semjon immer lauter herüberschallten.
Am nächsten Morgen sagte sie zu ihm: »Maxim, selbst wenn ich mit dir zu Semjon gehen wollte, ich habe kein Abendkleid.«
Er schaute sie an, als überlegte er, ob er wirklich den Vorschlag machen sollte, der ihren Zorn entfachen musste. Schließlich sagte er: »Vielleicht ziehst du einfach das Hochzeitskleid an? Ich habe es eingepackt.«
In jenem Augenblick konnte sie nicht anders, als Wertschätzung für ihren Mann zu empfinden, der die offen ausgelegte Falle sehr wohl erkannt hatte und dennoch hineingetappt war.
»Nie wieder werde ich dieses Kleid tragen!«, rief sie verächtlich, aber die Bewunderung für seinen Mut milderte ihre Wut. »Morgen fahre ich in die Stadt und kaufe dir ein neues Kleid«, sagte er.
»In Ordnung, Maxim«, murmelte sie wie aus einer plötzlichen Schwäche heraus.
In den Nächten begehrte er sie, wagte aber nicht, aufs Geratewohl nach ihrem Körper zu greifen. Immer näherte er sich ihr mit kindlichen Listen, drehte oder streckte sich, vollführte eine Bewegung, die ihren Körper wie zufällig gegen den seinen drängte, und tat dann so, als übermannte ihn die Lust, der er sich wohl oder übel ergab.
In diesen Nächten entdeckte sie, dass ihr Körper noch immer nach ihm verlangte, und als er Worte der Liebe murmelte, begriff sie mit einem Male bestürzt, dass er eine Brücke von den Schultagen bis zu ihrer Hochzeit gespannt hatte, dass er mit Leichtigkeit die großen Risse zusammengefügt hatte und dass ihre Heirat die folgerichtige Krönung ihrer Jugendliebe darstellte. In ihrer Geschichte, zumindest in dem Teil, der zwischen ihnen zur Sprache kam, war keine Erinnerung an jene furchtbare Nacht, in der er in ihrem Zimmer gestanden und ihr gesagt hatte, sie müsse ein anderer Mensch werden oder sterben. Und dann hatte er sie vom Bett gehoben und ans geöffnete Fenster getragen. Während sie noch die Nachtluft einatmete, hatte er ihr in aller Kürze seine Idee auseinandergesetzt: Sie müssten umgehend heiraten, um jedweder Ermittlung des NKWD zuvorzukommen. Sie schwieg zunächst zu seinen Worten, schwankte zwischen der Einsicht, dass sie in Leningrad bleiben musste, um die Zwillinge zu retten, und dem Impuls, ihr Schicksal zu teilen, in irgendeinem Lager begraben zu werden und zu sterben. Schließlich hatte sie ihn gefragt, ob er glaube, dass eine Hochzeit wirklich von Nutzen sei. Vielleicht sei sie ja bereits verloren, und es gebe keinen Grund, dass auch er untergehen sollte.
Er hatte ihr in aller Offenheit geantwortet, eine solche Möglichkeit bestünde in der Tat, denn derartige Angelegenheiten würden zuweilen willkürlich entschieden, dennoch sei dies der einzig richtige Weg. »Und in unserem Fall«, hatte er gemurmelt und seinen Blick durch das Zimmer streifen lassen, als wäre ihm erst jetzt die Schwere der Strafe vor Augen getreten, welche die Bewohner dieses Hauses ereilt hatte, »ist niemand mehr übrig, nur du noch, weshalb man vielleicht beschließen wird, es dabei zu belassen und dir als meiner Gattin zu vergeben.«
Am nächsten Tag hatte er seinen Abteilungsleiter von ihrer Entscheidung in Kenntnis gesetzt, sich zu verloben und bald zu heiraten. Ihre der Sabotage überführten Eltern hatten ihre Strafe erhalten, also stünde der Verbindung nichts mehr im Wege. Außerdem, hatte er angekündigt, sei sie bereit, bei der Vernichtung der gesamten »Leningrader Gruppe« behilflich zu sein. Am Abend berichtete er ihr zufrieden,
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