Gute Leute: Roman (German Edition)
überspielen: »Allein der Name Pawlik Morosow erregt Ekel bei mir: Ich hätte niemals vor einem Gericht gegen meine Eltern ausgesagt, hätte niemals behauptet, mein Vater sei nicht länger mein Vater.«
Maxim hatte einen Rückzieher gemacht und geflüstert, »Selbstverständlich, selbstredend, ich habe auch gesagt, dass der Vergleich grotesk ist.«
»Maxim«, hatte sie zu ihm gesagt, »erwähne diesen Namen in meiner Gegenwart nie wieder, hörst du?«
»Sicher, sicher, Liebste«, nickte er, beugte sich über sie und küsste ihre Schulter.
Seine glatte Zunge erregte sie. In ihrer Phantasie zerkratzten ihre Fingernägel seine geschmeidige, wohlriechende Haut, rissen an seinem kupferfarbenen Schnurrbart, der von Tag zu Tag eine Spur rötlicher zu werden schien.
Einmal hatte sie zu Hause nach einem Abendessen, bei dem Wlada sich in eine Schimpftirade hineingesteigert hatte, ihren Vater zu ihrer Mutter sagen hören: »Dieser Junge ist unser Unglück, er ist aus dem gleichen Stoff gemacht wie dieser Abschaum Pawlik Morosow.« Ihre Mutter war ihm sogleich über den Mund gefahren, hatte ihn gescholten, er kenne seinen Sohn nicht. Wlada führe sich zuweilen wie ein Spitzbube auf, aber im Grunde seines Herzens glaube er an die Partei, genau wie seine Freunde. »Er ist enttäuscht von uns und unseren Freunden, und seine Meinung muss er doch kundtun, oder?« Sie erinnerte sich auch an Nadjeschda Petrownas zu einer Grimasse verzerrtes Gesicht, als sie Brodski mit dem Zeitungsausschnitt vor der Nase herumgefuchtelt hatte, in dem man Gorki Morosow als »leuchtendes Beispiel« bezeichnet hatte und vorschlug, ihm zu Ehren ein Monument zu errichten. »Und diesen Dreck namens Gorki verehrt ihr?«, hatte sie geschrien. Warum hatte er diesen schrecklichen Namen bloß erwähnt? Seit Maxims erstem Besuch im Krankenhaus – herausgeputzt wie ein Bräutigam, die Stirn sorgenvoll in Falten gelegt und in der Hand Rosen und Schokolade – hatte sie ihn im Verdacht gehabt, zufrieden wie ein Lehrer zu sein, der seinen aufsässigen Schüler gewarnt hatte und sich jetzt insgeheim bestätigt fühlte.
Die beiden jungen Damen fanden sich wieder im Waggon ein, eine mit einem kleinen Kessel kochenden Wassers in der Hand. Als sie an ihr vorüberkamen, vergrub sie sich hinter Maxims Körper. Der Zug gab ein gellendes Pfeifen von sich und setzte sich unter rhythmischem Stampfen in Bewegung. Die beiden Militärärzte kehrten ebenfalls zurück und besetzten die freien Plätze hinter ihr, pellten hartgekochte Eier und fluchten über die veraltete Ausrüstung, die die Armee zuletzt erhalten hatte. Der eine von ihnen sagte, vielleicht sei es an der Zeit, sich mit einem Schreiben an den »besten Freund der Ärzte« zu wenden.
Sein Kamerad beeilte sich, ihn zurechtzuweisen: »Der Genosse Stalin ist jetzt mit dem Krieg in Europa beschäftigt. Vielleicht besteht unsere Verantwortung gerade darin, selbst eine Lösung für derartige Probleme zu finden.«
Der zweite Arzt hüstelte und erwiderte: »Vielleicht hast du recht.«
Sie fuhr herum: »Vielleicht ist es besser, wenn ihr endlich den Mund haltet.«
Sie starrten sie an. Offenbar hatten sie erraten, wo Maxim arbeitete, oder der Unterton in ihrer Stimme verriet ihre eigene Position. Die Leute hatten gelernt, Mitarbeiter des NKWD anhand aller möglichen Details zu erkennen.
Sie schloss die Augen, drückte ihr Ohr in den Pullover, und Brodskis schmeichelnde Stimme wiegte sie ein: »In der Stunde der Not vertrauen die Einfältigen auf die Hilfe ihrer Freunde, während die Vernünftigen, die das eine oder andere vom Leben in diesem Land verstehen, sich in das Königreich des Schlafs flüchten. Dort sind ihre Geheimnisse sicher verwahrt.«
***
Jeden Morgen stand ihr Mann zu früher Stunde auf, schob die Axt in den Gürtel und schloss sich den Männern aus den Datschen an der Flanke des Hügels an. Sie pflanzten Zitronenbäumchen, hackten Brennholz und jäteten Unkraut in den Gärten um die Datschen.
»Jetzt, in diesen Monaten, sind nur wenige prominente Gäste in Sotschi, es ist ein bisschen kalt«, hatte Stjopa mit einem Augenzwinkern zu ihr gesagt, als er sie von dem bevorstehenden Urlaub in Kenntnis setzte. »Daher habe ich euch eine der entzückendsten Datschen organisiert. Du glaubst nicht, was für Leute dort im Sommer wohnen, Namen, die jeder kennt.«
»Stjopa, ich möchte nur endlich wieder zurück an die Arbeit …«, hatte sie erwidert. »Ich brauche das, dass du mich ein bisschen zum Lachen
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