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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Stjopa?«
    Als sie erwachte, zeigte die Uhr halb neun, und unter dem Verband peinigte sie ein lästiger Juckreiz. Maxim hatte vorsichtig gefragt, wann sie den Verband abnehmen wolle, und sie hatte ihm nicht verraten, dass sie auf die Mitteilung des Arztes hin, es würden Narben zurückbleiben, beschlossen hatte, ihn niemals abzulegen. Sie würde lernen, mit einer Hand zu leben.
    Der süßliche Duft seines Parfüms drang ihr in die Nase. »Guten Morgen, du Langschläferin«, hörte sie ihn sagen und das Tablett mit dem Frühstück auf dem Nachttisch abstellen. Sie schlug die Augen auf. Er setzte sich auf das Bett und sagte: »Vielleicht erinnerst du dich nicht. Aber heute Nacht hast du mir im Schlaf eine sehr sonderbare Frage gestellt.«
    Seine Augen taxierten sie streng. Sie musste daran denken, wie sehr sie sich früher immer von seiner Klugheit hatte beeindrucken lassen, und verstand, dass er nun hören wollte, sie erinnere sich nicht.
    »Ich erinnere mich nicht …«, sagte sie schließlich.
    »Du hast mich gefragt, ob ich Muraschowski erschossen habe.«
    »Tatsächlich?«, murmelte sie. »Ich muss verworrene Albträume gehabt haben.«
    »Natürlich«, frohlockte er, »kein Wunder nach dieser schrecklichen Sache. Aber ich möchte nicht, dass das zwischen uns steht: Ich habe ihn nicht erschossen, es war Stepan Kristoporowitsch.« Er senkte den Blick, als schämte er sich. »Ich hätte ihn auf der Stelle erschossen! Aber dann musste ich daran denken, wie sehr deine Eltern diesen Mann gemocht haben und wie nahe er euch stand, und hatte Angst, du würdest es mir nicht verzeihen, wenn sein Blut an meinen Händen klebte.«
    »Ich verstehe. Das ist wirklich nicht so wichtig«, sagte sie.
    »Liebste, komm, lass uns diese verfluchte Affäre vergessen. Ich fahre jetzt und kaufe dir ein schönes Kleid, und heute Abend werden wir der Datscha von Semjon Emiljewitsch einen Besuch abstatten, in Ordnung?«
    Sie antwortete nicht. Er entschied, ihr Schweigen als Zustimmung auszulegen, und machte sich auf.
    Am Abend, bei seiner Rückkehr, entzündete Maxim im Gästezimmer sogleich ein Feuer im Kamin. Darüber hing ein übervolles Bord – Steine in allen Größen und Farben, gezackte und rundliche, felsige und behauene, schwarze und weiße, ockerfarbene und goldene. Danach überreichte er ihr mit großer Geste eine Schachtel und machte sich daran, den Tisch zu decken, arrangierte darauf die Delikatessen, die er in einem »bourgeoisen und widerlich teuren« Geschäft im Stadtzentrum gekauft hatte, und eine Flasche Wein, die von Semjon Emiljewitsch stammte.
    Sascha setzte sich in dem himmelblauen, aus exquisitem Stoff geschneiderten Kleid, das sie in der Schachtel gefunden hatte, zu Tisch. Sie lobte seinen Geschmack und dass er den Schnitt gewählt hatte, den sie am liebsten mochte. Er schlang das Essen hastig hinunter, und schon bald klebten fettige Graupen an seinem rötlichen Schnurbart. Auch sie aß erstaunlich viel, Fischleberpastete mit Zwiebeln, Brot mit Butter und Käse, ehe sie in jugendlicher Ausgelassenheit eine Scheibe Brot mit einer dicken Schicht Graupen bedeckte, eine saure Gurke darauf platzierte und rief: »Ich hab eine neue russische Delikatesse erfunden. Bitte schnell im Patentamt anmelden. Existiert das überhaupt noch?«
    Maxim, durch ihre sichtlich verbesserte Laune ermutigt, schenkte Wein nach. Dann fiel ihm ein, dass er ihr noch nicht erzählt hatte, wie er sich am Morgen ihrer Abreise ins Büro begeben hatte, um letzte Formalitäten zu regeln, und auf dem Flur von Stepan Kristoporowitsch abgefangen worden war. Er habe ihm in seinem Büro Tee angeboten und sich auch sonst überaus zuvorkommend aufgeführt, dabei über die Feierlichkeiten zu Ehren des neuen Jahres geschwatzt. »Trotz und alledem, 1940«, imitierte ihn Maxim, »ein neues Jahrzehnt darf wohl Anlass für eine große Festivität sein!« Und dann hatte er verkündet, er habe Podolski ausgewählt, seine eigene Rolle zu verkörpern, die des Abteilungsleiters, bei einer Posse, die einer der inhaftierten Schriftsteller für diese Feier geschrieben habe.
    Danach hatte Stepan Kristoporowitsch noch angefügt, es sei für ihn Ehrensache, sich so wenig wie möglich in die persönlichen Angelegenheiten seiner Mitarbeiter einzumischen, doch sei die Ehe ein heiliger Bund, und eine Liebe, wie sie zwischen ihm und Sascha herrsche, sei in unseren Zeiten wahrlich nicht oft anzutreffen. Er habe in letzter Zeit von jungen Paaren erfahren, die sich in Sachen Kinder

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