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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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einfügen, haben nichts zu schaffen mit unseren Werten.«
    »Genau«, kollerte Maxim. Sein Haar hing wirr vom Kopf, seine Koteletten wirkten dick und struppig. »Und ich sage: Wir müssen ihnen ein für alle Mal eine Lektion erteilen.«
    Sieh an, da brach jener alte wilde Tonfall wieder aus ihm heraus. Wie oft hatte sie den heranwachsenden Podolski rufen hören: Wir müssen ihnen eine Lektion erteilen! Seine neue und distinguierte Form des Auftretens hatte die Gewalttätigkeit, die in ihm steckte, gut kaschiert. Abermals irritierte sie seine schillernde Persönlichkeit. Er erinnerte sie an ein Riesenrad im Vergnügungspark: Jeden Augenblick leuchtete in lichter Höhe ein anderer Charakterzug auf, und wenn man meinte, das vor sich zu haben, was ihn wirklich ausmachte, verschwand jener Podolski, und von oben winkte ein anderer Mensch herab.
    »Und ich sage, lasst sie uns mit ein bisschen Blei über ihren Hüten aufwecken, vielleicht verstehen sie dann, dass es Zeit für ein paar Veränderungen ist«, rief der Mann im Frack mit pfäffischer Angriffslust.
    »Ihr Dorf ist zu weit weg für Gewehre«, beschied ihn Podolski.
    »Umso besser, wir schießen bloß in ihre Richtung, Semjon Emiljewitsch, bist du dabei?!«, brüllte der andere. Offenbar war er darauf aus, seine Kumpane aufzuwiegeln, machte sich aber insgeheim über sie lustig.
    »Ja«, knurrte Semjon als Antwort, »wir feuern ein paar Kugeln in ihre Richtung, es hieß, hier gäbe es Steinhühner, aber Fehlanzeige, also wecken wir diese Fakire einmal auf.«
    Im Pulk stürzten die Männer zum Gewehrständer neben der Tür. Sascha suchte nach Maxims Blick, doch er entzog sich ihr. Schon hatten sie die Gewehre ergriffen. Sie hörte ihre Schritte auf der Treppe und danach schwere Stiefeltritte im Stockwerk über ihr, die Balken ächzten, und durch die Dielenfugen rieselte Staub ins Zimmer.
    »Sie können sich glücklich schätzen, Ihr Gatte gehört zu der Sorte Männer, über die man sonst nur in Büchern liest«, sagte Evelina Sergejewna. »Mögen Sie Marian Anderson? Ich habe es ein bisschen bedauert, dass man sie nicht mehr im Radio hört. Und den Jazz von Skomorowski, gefällt er Ihnen? In Leningrad verehrt man ihn sicher noch? In meinen Augen ist er ein Genie.« Sie stützte einen Ellbogen auf den Tisch, ließ das Rouletterad rotieren und klagte über die Unrast der Männer. »Wissen Sie, dass Stalin ihn angerufen hat?«, sie deutete nach oben zur Decke. »Er hat einen Brief von einem der Arbeiter in der Fabrik bekommen, der sich beklagte, es gäbe kein warmes Wasser in den Duschen. Semjon Emiljewitsch hat dafür gesorgt, dass alles repariert wird, es hatte sich zuvor einfach nie jemand beschwert, aber ich fürchte, man wird nicht verstehen, dass er in seiner Arbeit mit Leib und Seele aufgeht.« In ihrem Gesicht flackerte Erwartung.
    Ein gewaltiges Donnern war jetzt aus dem zweiten Stock zu hören. Der Roulettetisch erzitterte. Evelina Sergejewna hielt plötzlich ein zerbrochenes Glas in der Hand. Sie stieß einen Schrei aus und stierte mit aufgerissenen Augen auf ihre Hand, die zu bluten begann. Teuerste, ein Glück, dass Sie exzellentes Verbandsmaterial und Desinfektionsmittel haben, spottete Sascha im stillen.
    Hatte Evelina Sergejewna ihr dies über ihren Mann erzählt, weil sie hoffte, Maxim Podolski, ein Mann wie aus einem Buch, würde ihm helfen? War die Bitte an Podolski gerichtet, über sie als Mittlerin? Oder sollte Evelina Sergejewna etwa gerade ihre Hilfe erbeten haben? Auch außerhalb des Bolschoi Dom, in dem sie Geständnisse redigierte, betrachtete man sie schließlich als eine »von denen«.
    Oben krachten weitere Schüsse, es wurde gepfiffen. Sie hatte das Gefühl, als entzündete man das Schießpulver direkt vor ihrer Nase. Zu den Pfiffen gesellte sich ein durchdringendes Summen. Evelina Sergejewna sagte etwas, aber Sascha hörte sie nicht. Sie blickte zum Fenster. Erwartete das Auflodern von Feuerzungen am Horizont, doch außer einem schwachen Aufblitzen, das in den Bergen erstarb, war dort nichts zu sehen.
    ***
    »Vor uns liegt Furcht, und Furcht liegt hinter uns. Sitz ein Weilchen bei mir, in Gottes Namen, sitz bei mir«, deklamierte Stjopa und kicherte, und mit einer vertrauten, herrischen Geste lud er sie ein, sich zu setzen. Unter großer Überwindung näherte sie sich ihm, denn diese Zeilen hatten ihr zu verstehen gegeben, dass große Sorgen den Abeilungsleiter bewegten. »Sehen Sie, wie der Boden glänzt«, brummte er, »den ganzen Morgen

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