Gute Leute: Roman (German Edition)
seine Arme.
»Nimm die Hände weg!«, röchelte Thomas.
»Ruhig, beruhigen Sie sich auf der Stelle! Und hören Sie auf, hier herumzutoben!«
Thomas zerrte seinen Ausweis aus der Tasche und hielt ihn dem Offizier dicht vors Gesicht. »Fragen Sie Sturmbannführer August Frenzel aus Globocniks Büro nach mir!«
»Aus welcher Abteilung sind Sie?«
»Aus gar keiner Abteilung, ich bin mit Angelegenheiten befasst, von denen jemand wie Sie nur träumen kann.«
Der Offizier gab sich unbeeindruckt und ließ seinen Blick auf dem Ausweispapier verweilen.
»Geben Sie mir den Ausweis zurück, Sie Flegel!«, rief Thomas.
Zwei Polizisten packten die Mutter von Rosa Heiler und stießen sie in die Menge der Juden auf dem Platz. Ein kleiner Junge näherte sich ihr, gefolgt von seinem Vater.
»Ich habe diesen Plan zur Umsiedlung der Juden erdacht«, schrie Thomas, sein Gesicht brannte, den Körper unter Kontrolle zu halten verlangte übermenschliche Anstrengung. »Der Befehl lautet, die Aussiedler anständig zu behandeln! Ich verlange, dass dieser Abschaum hier vor Gericht gestellt wird!«
»Selbstverständlich«, sagte der Offizier sanft, »bleibt Ihnen das Recht vorbehalten, Anzeige zu erstatten.«
»Sie sind eine Schande für die Uniform, die Sie tragen!« Thomas spuckte dem anderen ins Gesicht.
Der Offizier beugte sich lediglich zu ihm vor. Seine nur mühsam unterdrückte Wut stand in sonderbarem Widerspruch zu der gemächlichen Bewegung. Offensichtlich erwartete er, dass seine Kameraden Thomas festhielten.
Einer der Polizisten packte Rosas Leiche bei den Haaren und schleifte sie zu einem Karren. Ihr Kopf fiel nach hinten, sie hatten ihr den Hals gebrochen.
Die Kameraden des Offiziers packten Thomas. Er wand sich, als wollte er sich losmachen.
»Sollen wir wetten, dass Sie es nicht wagen, mir zu nahe zu kommen?«, murmelte Thomas und mühte sich vergebens, das Zittern zu unterdrücken, das seinen Körper überlief.
Die Leiche der Frau landete auf dem Karren und schlug gegen die Seitenwände. Die Polizisten fanden sich wieder bei ihren Kameraden ein, die an der Mauer der Kirche mit dem von Grünspan bedeckten Turm lehnten.
Der SS-Offizier und Thomas tauschten ihre Personalien aus. Der Offizier erinnerte Thomas noch einmal daran, dass er mit dem Vorfall nichts zu tun habe, und bemerkte, die polnischen Polizisten bekämen immer wieder zu hören, in Ostpolen, unter der Herrschaft der Sowjets, würden die Juden den Polen übel mitspielen. Es sei also kein Wunder, wenn sie ähnlich verführen. Thomas sagte, er habe nicht vor, Anzeige zu erstatten. Wortlos gingen sie auseinander.
Eine Stimme aus einem Lautsprecher dröhnte über die Köpfe der Juden hinweg, in Kürze würden sie auf Pferdewagen zum Bahnhof gebracht. Jeder Jude, der es wagte, sich Lublin noch einmal zu nähern, würde auf der Stelle erschossen.
Der Himmel über der Stadt klarte auf. Von den Gittern vor den Geschäften wurden die Schlösser entfernt, die Lichter in den Schaufenstern gingen an, eine Kellnerin in weißer Schürze servierte zwei jungen Männern ein Kännchen Tee, einer zündete sich eine Zigarette an, der andere wedelte den Rauch mit der Hand fort und beide lachten. Thomas wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Er hatte seinen Zug verpasst.
Brest, April 1941
Eine gemeinsame Flugschau über Brest war eine ausgezeichnete Idee. Menschen, vor allem Kinder, liebten Flugzeuge.
Überhaupt fand Sascha solchen Gefallen an einer Friedensparade der beiden Armeen, dass sie mitunter eine geschlagene Stunde auf ihre Bleistiftskizzen starrte – bald würde sie größere Karten zeichnen – und sich an ihrer Schönheit erfreute.
Die Armeen würden auf einer Ebene außerhalb der Stadt Aufstellung nehmen, nach dem Muster des russisch-österreichischen Aufmarschs, der vor den Augen der beiden Kaiser vor der Schlacht von Austerlitz stattgefunden hatte. Beide Armeen sollten sich in ähnlicher Anordnung formieren: vorneweg die Kavallerie, dahinter die Artillerie, zuletzt die Infanterie.
Die Kavallerie würde selbstverständlich durch Panzereinheiten ersetzt werden, und es würden noch ein paar andere Zugeständnisse an den Zeitgeist erforderlich sein, aber insgesamt sollte das feierliche Gepränge, das der Parade von 1939 gefehlt hatte, ein zentrales Anliegen bei der des Jahres 1941 sein. Die Soldaten sollten prachtvolle Paradeuniformen tragen, alle würden ihre Rangabzeichen, Orden und Ehrennadeln anlegen. In ihrer Phantasie erblickte sie in jedem der
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