Gute Leute: Roman (German Edition)
immer und überall –, wir ermöglichen ihnen, sich mit ihrem ganzen Besitz aus dem Staub zu machen, ja sogar mit dem Zug zu fahren. Im Rahmen der ›freiwilligen Umsiedlung‹ sind wir in den ersten zwei Tagen Tausende von Juden losgeworden, meiner Schätzung nach werden wir am Ende bei 12 000 liegen, und das alles still und leise. Innerhalb von einem, höchstens zwei Jahren wird Lublin judenrein sein.«
Thomas überquerte in Gedanken versunken die Straße. Gestern Abend war Frenzel derart fixiert auf die Sache mit den Juden gewesen, dass er keine Gelegenheit gefunden hatte, ihm klarzumachen, dass eine Flasche Wein im »Deutschen Haus« nicht als ausreichende Kompensation gelten konnte. Um seinem geheimen Berater seinen Dank zu bekunden, musste Frenzel für die Parade in die Bresche springen.
In den zurückliegenden Wochen hatte ihn der Wust an Ideen und Aufgaben, der sich im Zusammenhang mit der Parade anhäufte, bis tief in die Nacht beschäftigt. Jeden Tag kamen ihm unzählige weitere »ungelöste Sachverhalte« in den Sinn, wurde er von wahrer Besessenheit erfasst, bis ihm sein eigenes Denken wie ein Rennwagen erschien (er liebte die Modelle von Mercedes-Benz), dessen Bremsen versagten, während er von einer Reichsbehörde zur nächsten raste, auf der verzweifelten Suche nach Verbündeten.
Heute am Mittag sollte er sich mit Schumacher in Krakau auf »ein Gläschen unter alten Freunden« treffen. Er würde ihn ins Vertrauen ziehen, würde sich mit seinen neuen Kontakten und seiner delikaten Aufgabe brüsten, würde dem Dicken mitteilen, dass er beschlossen habe, ihn zum Treuhänder der Deutsch-Sowjetischen Militärparade im Wirtschaftsministerium zu ernennen, um dort Unterstützer aus den Reihen der Industriellen zu gewinnen, die Einfluss auf den Führer hatten. Doch bedauerlicherweise hing das Schicksal der Parade nicht von Schumacher ab, sondern vom Auswärtigen Amt. War es nicht der Stümper Ribbentrop, der das Abkommen mit der Sowjetunion als seinen größten Erfolg betrachtete? Dann sollte er es gefälligst auch verteidigen!
Er setzte je ein Schreiben an Karl Schnurre und Martin Luther auf, berichtete stolz von den Fortschritten, die bei der ersten Beratung über die Parade erzielt werden konnten, und prophezeite, die Initiative zur Wahrung des Friedens würde von der Geschichte als größte Leistung des Auswärtigen Amtes im 20. Jahrhundert anerkannt werden …
Frenzel behauptete, auch im Auswärtigen Amt glaube man nicht an die Parade – doch eine Woche später präsentierte ihm Thomas ein persönliches Schreiben mit der Unterschrift Martin Luthers, in dem dieser sein Entzücken über die Ideen seines lieben Freundes Thomas Heiselberg zum Ausdruck brachte und ihn anspornte, »weiter unermüdlich an einem Zustandekommen der Parade zu arbeiten, die Unterstützung auch aus dem Umfeld des Führers genießt«. Frenzel zeigte sich zutiefst beeindruckt und hegte keinen Verdacht …
Aber wie war ein Fortschritt zu erzielen ohne starke Verbündete innerhalb der Armee? Man musste sich an hochrangige Offiziere der Wehrmacht wenden, die aus der Geschichte eine Lehre gezogen hatten und mit aller Entschiedenheit gegen einen Zweifrontenkrieg waren … Und die SS? Nachdem er Luthers Brief gelesen hatte, bot Frenzel seine Hilfe an. Es war jedoch gut möglich, dass er sich ganz umsonst um diesen jungen Offizier bemühte, vielleicht hatte er überhaupt keinen Zugang zu den wirklich maßgeblichen Rängen.
Auch einen Vorstoß in Sachen Göring unternahm er: In der vergangenen Woche hatte er an Kresling geschrieben, »in vertraulicher und höchst bedeutsamer Angelegenheit«, hatte in seinem Schreiben angedeutet, dass er seine Lektion gelernt habe und die ihm auferlegte Strafe für gerechtfertigt halte. Auf eine Antwort wartete er noch.
Manchmal, wenn er für eine Weile zur Ruhe kam, musste er sich eingestehen, dass, je mehr Zeit verstrich, die Aussichten auf ein Zustandekommen der Parade schwanden. Was schrecklich frustrierend war: Man hatte ihm ein imposantes historisches Ereignis anvertraut, hatte ihn mit einem Projekt geködert, bei dem er ohne Störfeuer (von der kleinen Weißberg einmal abgesehen) seine Vision würde verwirklichen können, und jetzt musste er feststellen, dass diese Halunken ihn im Stich gelassen hatten, dass es nicht eine Stelle im Reich zu geben schien, die auf seine Eingaben antwortete. Zudem war die zweite Besprechung auf April verschoben worden. Aber anstatt sich der Resignation
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