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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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zu ergeben, schwor sich Thomas, aufs Ganze zu gehen und für Unruhe zu sorgen, überall Köder auszulegen, falsche Gerüchte zu verbreiten. Ja, vielleicht war es an der Zeit, noch radikalere Maßnahmen zu ergreifen.
    Plötzlich wandte sich eine grauhaarige korpulente Jüdin in mehreren Lagen verschossener Pullover auf polnisch an ihn: »Wo kann man eine Bescheinigung für die im Lagerhaus deponierten Gegenstände gekommen?« Er bedeutete ihr, dass er ihre Sprache nicht verstand. Ihretwegen war jetzt der Turm aus Ideen in sich zusammengestürzt, den er in der letzten Stunde errichtet hatte und dessen Einzelheiten er in seinem Notizbuch festhalten wollte, sobald er im Zug nach Krakau säße. Er atmete tief durch und schaute zu den Dächern, wo schwarzer Rauch aus den Schornsteinen stieg. Menschen standen auf den Balkonen und hielten das rostige Eisengeländer umklammert. Zwei Polizisten, zu deren Füßen ein Schäferhund lag, riefen einem jungen Mädchen etwas zu. Sie stützte gerade die alte Jüdin, die ihn zuvor angesprochen hatte.
    Das Mädchen war groß und breitschultrig. Die Polizisten befahlen ihr, zu ihnen zu kommen, auch die Alte stieß sie in diese Richtung, aber sie ließ die Frau, die offenbar ihre Mutter war, sich auf den Bordstein setzen und zog den Schal um ihren Hals fester. Das alles geschah sehr langsam, als hätte sie alle Zeit der Welt. Die Polizisten brüllten, der Hund erhob sich und streckte seine Hinterläufe, selbst Thomas war mit einem Mal angespannt – vielleicht bewegst du dich endlich mal?
    Er ging weiter und war jetzt auf einer Höhe mit ihr. Sie war geschmackvoll gekleidet, über ihren Schultern lag ein hellblaues Cape, mit kerzengeradem Rücken und gerecktem Hals schritt sie an ihm vorüber und würdigte ihn keines Blickes.
    Einer der Polizisten brüllte ihr auf polnisch zu: »Zieh gefälligst den Hut, siehst du den Deutschen nicht?«
    Das Mädchen erwiderte, den letzten Bekanntmachungen zufolge sei es verboten, den Hut abzunehmen. In ihrer Stimme schwang eine arrogante Note mit. Thomas hoffte, die Polizisten hätten es nicht bemerkt.
    Ein anderer polnischer Polizist mit dem Gesicht eines Knaben brüllte: »Rosa Heiler, du bist hier nicht mehr in der Bibliothek, nimm den Hut vom Kopf!« Heftig flüsternd erklärte er seinem Kameraden etwas.
    »Die Bibliothekarin Rosa Heiler«, schrie der andere Polizist. Thomas blieb stehen.
    Das Mädchen wirkte ratlos, Röte überzog ihre Wangen. Sie murmelte auf polnisch, »Welcher Hut? Ich trage doch gar keinen Hut«, und löste den Knoten ihres Kopftuchs. Der Wind fuhr in ihr schwarzes Haar, das jetzt ihr Gesicht verdeckte. Ein paar silbergraue Strähnen glänzten darin – sie war gar nicht mehr so jung.
    Mit der Hand fasste sie das Haar zusammen. »Recht so?«, rief sie den Polizisten zu, wandte sich dann sogleich wieder ihrer Mutter zu und wollte sich entfernen.
    »Wohin so schnell?«, blafften sie zurück. »Wir haben dir gesagt, du sollst hier antreten, und zwar sofort!«
    Mit unverhohlenem Unwillen drehte sie sich um und schritt auf sie zu.
    »Dieses jüdische Stück Dreck hat sich immer aufgeführt, als wäre sie etwas Besonderes«, geiferte jetzt der jüngere Polizist. »Rosa Heiler, ich möchte ein Buch empfohlen bekommen!«
    Thomas näherte sich der Alten auf der Bordsteinkante, die in dem Augenblick, in dem sie verstanden hatte, dass er nicht gefährlich war, das Interesse an ihm verloren hatte. Jetzt jedoch stieß sie einen erstickten Schrei aus, und ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Entsetzens. Unter größter Anstrengung stemmte sie ihren Körper in die Höhe, schaffte es aber nicht, auf die Füße zu kommen. Thomas drehte sich um. Rosa Heiler lag auf dem Bürgersteig, und die Knüppel der polnischen Polizisten gingen auf und nieder. Der junge Polizist setzte seinen Stiefel auf ihren Bauch, dann schwang er den anderen Fuß und trat mit voller Wucht nach ihrem Kopf.
    Plötzlich raffte sich Thomas auf, überquerte die Straße, stieß die Polizisten beiseite und brüllte, er sei ein persönlicher Freund Globocniks.
    Sie rempelten ihn an, ein Schlagstock landete auf seinem Arm, der Schmerz ließ ihn hysterisch auflachen. Einer der Polizisten schwang den Knüppel vor seinem Gesicht.
    »Schlag zu, du polnischer Hund«, brüllte Thomas, »und bis zum Abend bist du tot!«
    Jetzt kamen mehrere Personen vom Hotel Europa, wo der Stab des Propagandaministeriums seinen Sitz hatte, auf sie zu. Einer von ihnen, in SS-Uniform, packte

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