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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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jungen Soldaten, die auf der Ebene antreten würden, etwas von Kolja. Manchmal sah sie ihn herausgeputzt und in Habtachtstellung, während neben ihm die mit Schlamm bedeckten Rotarmisten lagen.
    Maxim, dem sie ihren geheimen Plan anvertraut hatte, behauptete, schon dessen erste Stufe, die Nachstellung des Aufmarschs vor der Niederlage von Austerlitz, würde ihr zum Verhängnis werden. Sie täte besser daran, die Verbindung zwischen den beiden Ereignissen zu kaschieren. Ohnehin fiel sein Kommentar abschätzig aus, seiner Meinung nach würde es überhaupt keine Parade geben. Der Krieg würde ausbrechen, sobald der Boden getrocknet wäre, aller Wahrscheinlichkeit nach im Mai. Wer Augen im Kopf habe und die Bewegung der deutschen Truppen verfolge, erkenne dies. Aus den Agenturen des sowjetischen Geheimdienstes weltweit werde der Kreml mit Hinweisen auf die Absichten der Deutschen geradezu überschwemmt: Allein im letzten Monat hätten Merkulows Leute vom NKGB Dutzende von Belegen gesammelt, dass die deutschen Pionierverbände in Stellung gingen. Es gebe Gerüchte, dass sogar die Operationspläne der Deutschen in die Hände der Roten Armee gelangt seien. Die ganze Geschichte mit der Parade sei bloß ein plumpes Ablenkungsmanöver – »und wir hätscheln es in der vergeblichen Hoffnung, den Krieg zu verhindern«.
    Maxims Tollkühnheit, ihr derart unverblümt zu schreiben, was, sollten die Briefe entdeckt werden, mit Gewissheit zu seiner Liquidierung führen musste, war ein Teil seiner verzweifelten Bemühungen, sie aus Brest herauszuholen. »Alle vernünftigen Menschen schicken ihre Frauen und Kinder nach Osten, und du verliebst dich in irgendeine Parade. Ich bitte dich eindringlich, Liebste, erhöre mein Flehen.«
    Je verzweifelter er wurde, desto häufiger fanden sich in seinen Briefen Äußerungen, die er bis jetzt nicht zu machen, geschweige denn zu schreiben gewagt hätte:
     
    Ich verstehe, dass dir dein Herz sagt: Es ist besser, für den kleinen Hungerhaken oder gemeinsam mit ihm zu sterben, als zu leben. Meinst du, ich begreife die Schrecken nicht, die du durchlitten hast? Ich habe dir Mut gemacht und versucht, dich aus dem schwarzen Labyrinth zu führen, in das deine Seele gestürzt war. Wir alle irren durch ein solches Labyrinth, und ganz gewiss jeder, der dem NKWD dient, aber dein Fall war besonders schrecklich. Bereits in jener Nacht, als ich in deinem Zimmer stand und dir meinen Plan dargelegt habe, wie du überleben kannst, war klar: Der neue Mensch, der du sein wirst, wird nicht besser sein als der vorherige, dieser Mensch wird entsetzliche Dinge tun müssen. Das sind die Bedingungen.
    Lange hast du dich an die Ausrede geklammert, du habest im Grunde genommen der Clique deiner Eltern geholfen, durch dich hätten sie mildere Strafen erhalten. Insgeheim dachte ich, es sei bloß ein Strohhalm, an den du dich geklammert hast, um nicht zu ertrinken. Verstehst du, der Mensch meint, er könne gegen seinen Überlebenstrieb ankämpfen, aber tatsächlich vermögen wir nicht, die Taschenspielertricks zu erkennen, zu denen unsere listige Seele dabei greift.
    Ich nahm an, mit der Zeit würde der Panzer deines Selbstbetrugs Risse bekommen, bis er schließlich aufbrechen musste – du bist zu klug, Sascha, das habe ich dir schon in der vierten Klasse gesagt, an dem Tag, an dem wir uns kennenlernten. Und so habe ich gehofft, bis zu dem Augenblick, in dem du die Bedeutung deiner Taten verstehen würdest, wäre vielleicht einer der Zwillinge zurückgekehrt, hätten wir vielleicht Kinder, würdest du mich vielleicht erneut lieben, würdest du vielleicht irgendeinen anderen Grund gefunden haben, am Leben zu bleiben. Ich schwöre dir, der Grund, warum ich dich in Sachen Kinder bestürmt habe, warst du, nicht ich.
    Liebste, erinnerst du dich, dass ich dir während unserer Ferien in Sotschi erzählt habe, Stepan Kristoporowitsch rate uns, Kinder zu bekommen? Aber tatsächlich gab es noch ein zweites Thema bei meinem Treffen mit ihm: die Zwillinge. Beide haben wir größte Anstrengungen unternommen, ihnen zu helfen. Wohl empfinde ich Verachtung für die Verbrechen dieses Lügners und empöre mich über den Schmutz, mit dem Menschen seines Schlages unsere Organisation beflecken, aber seinen Einsatz für dich habe ich zu schätzen gewusst. Er begehrte dich, als hätte ihn ein Fieber gepackt, ich sah es in seinen Augen. Bei unserer Begegnung erzählte mir dieser Meister der Intrige, es sei ihm gelungen, auch Kolja rekrutieren zu

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