Gute Leute: Roman (German Edition)
mit der Bitte, die sowjetische Flotte gegen England einzusetzen. Sollte sich die Regierung der Sowjetunion weigern, könnte Deutschland ihr den Krieg erklären. In jedem Fall aber bliebe genug Zeit, sich vorzubereiten. Sascha erwiderte, sie sei ganz seiner Meinung, allerdings ändere das nichts an der Tatsache, dass die Kriegshetzer zum Schweigen gebracht werden müssten.
»In letzter Zeit ermutigen Sie mich, Verhaftungen vorzunehmen«, scherzte er, doch sein Gesicht verriet, dass er nicht zufrieden war. »Ein Glück, dass Sie jetzt vollauf mit der Parade beschäftigt sind, sonst hätten wir bald keine Menschen mehr in der Stadt.«
Sie diktierte einen Artikel für den Chefredakteur der lokalen Zeitung, in dem sie alle verspottete, die Gerüchte in die Welt setzten und sich lieber den Ängsten vor einem Krieg zwischen der Sowjetunion und ihrem Verbündeten Deutschland widmeten, als sich für eine bessere Gesellschaft einzusetzen. Auf derselben Seite wurde ein Interview mit einem sechzehnjährigen Mädchen abgedruckt, der Tochter eines Mitglieds des Obkom, in dem der Backfisch seine Pläne für die Zukunft unter der Überschrift verriet: »Ich werde Ingenieurin.« Im letzten Jahr auf der Schule hatte sie der Bitte ihres Vaters entsprochen und irgendeiner Zeitung in Leningrad Rede und Antwort gestanden: »Ich werde Physikerin und schreibe am Abend Gedichte.«
***
Nachdem sie Thomas Heiselberg den neuen Stadtplan übersandt hatte, wechselten sie noch einige Telegramme. Es wurde beschlossen, dass jede Seite beim nächsten Treffen ihr Gesamtkonzept präsentieren sollte. In seinen Briefen brachte der Deutsche vollkommen größenwahnsinnige Ideen auf: Er wollte, dass die Parade wie eine »Weltausstellung« aussähe, schlug vor, in Brest riesige Pavillons zu errichten, beschrieb den »Pavillon des 20. Jahrhunderts«, der »das pulsierende Herzstück des ganzen Ereignisses« sein würde, phantasierte von irgendeiner Straßenbahn, die das Publikum von einem Pavillon zum nächsten transportieren würde, und von einer Beleuchtungsanlage, die Brest in ein nächtliches Lichtermeer verwandeln sollte … Sascha war fest überzeugt, dass er, wenn er erst eingesehen hätte, dass seine Pläne nirgendwo außer in seinen kühnen Träumen zu verwirklichen waren, sich ihren Plan zu eigen machen würde.
Saschas Parade sollte ein mehrstufiges Ereignis werden:
Ein Aufmarsch, der in den frühen Morgenstunden auf einer weiten Ebene außerhalb der Stadt stattfinden sollte.
Eine Parade durch die Hauptstraßen von Brest.
Gegen Abend schließlich würde in der Festung eine symbolische Schlacht stattfinden. Den Bewohnern der Stadt würde ein von Geschossen und Leuchtgranaten erhellter Himmel präsentiert, ehe das Spektakel in einer prächtigen und geheimnisvollen Atmosphäre zu Ende ginge.
Das ganze Programm durchzog selbstverständlich ein historischer Faden: Am Morgen eine Verbeugung vor dem großen Bündnis zwischen Russland, Preußen und Österreich gegen Napoleon, am Abend eine Anspielung auf den Frieden, den die beiden Länder in der Festung verkündet hatten und mit dem Russlands Teilhabe am Großen Krieg beendet worden war, dazwischen ein Verweis auf die vorherige Parade, die den Pakt und die neuen Einflussbereiche der beiden Staaten symbolisiert hatte. War das nicht perfekt?
Der letzte Brief allerdings, den sie von dem Deutschen erhalten hatte, beunruhigte sie. Zunächst teilte er ihr die Verschiebung des Treffens auf Ende April mit, ein Aufschub, der die Parade gefährdete. Der beste Zeitpunkt für die Durchführung lag zwischen Juni und September, und da ein solches Ereignis unzähliger Vorbereitungen bedurfte, liefen sie Gefahr, dass die Sache auf 1942 vertagt würde. Die ganze Welt konnte sich bis dahin verändert haben. Und noch etwas war merkwürdig: Der reservierte Ton, der seine Äußerungen bisher bestimmt hatte, war verschwunden, und an seine Stelle war eine unbedingte Entschlossenheit getreten, Einfluss auf die Gestaltung der Parade zu nehmen: »Phantasie, Mademoiselle Weißberg, ist ein seltenes Gut unter Diplomaten. Bei aller Bescheidenheit bin ich wohl derjenige, der der Abteilung Phantasie bei unserer Parade vorstehen sollte.«
Je näher der Termin des Treffens rückte, desto unerschütterlicher wurde ihr Glaube an die eigene Planung. Was jedoch die Behandlung des deutschen Repräsentanten betraf, kam sie kein Stück voran. Würde sie sich mit jedem seiner unterschiedlichen Gesichter gesondert befassen müssen? Bei
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