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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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ihrer Arbeit hatte sie es häufig mit ähnlich labilen Persönlichkeiten zu tun gehabt. Sie hatten sich den Menschen, der sie sein wollten, in ihrer Vorstellung modelliert und kämpften in jedem Augenblick um das Überleben dieses Idealtypus. Es waren gefährliche Menschen, da sie wie Panther erschienen, die sich mit derselben Entschlossenheit auf Gräser stürzten wie auf eine Beute: Es gab keine Haupt- und Nebensache, auch die harmloseste Geste konnte als Bedrohung ausgelegt werden, und dann würden sie zu den radikalsten Mitteln greifen.
    Thomas Heiselberg beherrschte die Saiten seiner geschmeidigen Seele virtuos. Zu einem Menschen wie ihm konnte man sagen: Ihr seid ein Meister der Täuschung – wie mit einem Zauberstab nehmt ihr ein Antlitz fort und schon erscheint ein anderes. Oder ihn beleidigen: Ihr schreckt nicht einmal vor den infamsten Hinterhältigkeiten zurück und führt euch auf, als gäbe es kein Gewissen auf der Welt – und er zeigte sich nicht im mindesten beeindruckt. Im Gegenteil, nach seinem Verständnis hatte man in diesem Moment seine Macht anerkannt.

Brest, Mai 1941
    Ein schöner Frühlingstag, sagte sich Thomas, aber Menschen starben auch an solchen Tagen. Am Morgen waren sie durch die Straßen gegangen und hatten die Route der Parade festgelegt, hatten die Ehrentribünen und die für die Zuschauer bestimmten Bereiche abgesteckt, hatten den »Park des 1. Mai« und das Stadion besucht, hatten freundliche Sportler getroffen, die dort, zusammen mit dem Orchester der Stadt, für den Aufmarsch im Juni probten. Ihre Entscheidungen hatten sie zügig getroffen und beide waren überzeugt davon, dass es sich um vortreffliche Beschlüsse handelte.
    »Vielleicht will es mir nur so scheinen, aber ich höre auf der Straße mehr Russisch als Polnisch. Sie arbeiten wirklich schnell.«
    »Monsieur Heiselberg, auf der Straße hört man den Willen des Volkes.«
    Sie fügte hinzu, in letzter Zeit bemerkten die Einwohner von Brest vermehrt deutsche Flugzeuge am Himmel. Die Luftwaffe der Roten Armee verhalte sich verantwortungsbewusst und begleite die Flugzeuge aus dem russischen Luftraum hinaus, mehr nicht, doch seien diese wiederholten Übertretungen dem Vertrauen zwischen beiden Seiten nicht zuträglich.
    »Unsere Piloten sind jung und noch unerfahren«, deklamierte er die Erklärung, mit der Frenzel ihn versehen hatte, deutete jedoch mit einem halben Lächeln an, dass sie auch in seinen Augen dürftig war. »Außerdem haben diese jungen Kerle viel über den Kommunismus gehört und sind nun ein wenig neugierig.«
    »Die Parade wird ihre Neugierde vollauf befriedigen«, sie beugte sich zu ihm, aufgeregt und mit roten Wangen.
    Möglich, dass sein gepflegtes Auftreten bei ihrer ersten Begegnung Eindruck auf sie gemacht hatte. Anstelle des hässlichen Rocks und des abgetragenen Jacketts trug sie diesmal ein rot-weiß gepunktetes Kleid und eine taillierte Jacke mit tief gezogenem Kragen. Ihr dunkles Haar war zur Seite gekämmt und von einem bläulichen Glanz, der ihn irritierte. Das Grauen vor ihrem Blick empfand er nicht mehr. Bereits am Bahnhof hatte er bemerkt, dass der Blick, an den er sich von ihrer ersten Begegnung erinnerte, in nichts dem ähnelte, den sie ihm heute schenkte.
    Am Mittag waren sie schließlich im Sitzungszimmer angelangt. Es lag im ersten Stock eines in die Jahre gekommenen Hauses in einer Seitenstraße, wo sie ihn durch einen immer schmaler werdenden Flur zunächst in ein kleines Büro führte. Durch eine Art Tapetentür traten sie danach in einen Raum mit gewölbter Zimmerdecke und einem großen rechteckigen Tisch in der Mitte. Die Messingtürklinken hatte man erst am Morgen poliert, und auf dem Fußboden waren weiße Farbflecken zu sehen, die man hastig hatte wegschaben wollen.
    Mit entschuldigendem Lächeln erklärte sie, dies sei ihr neues Königreich, sie habe in dem bisherigen, bevölkerten Büro nicht die nötige Ruhe und Inspiration für die Planung der Parade finden können. Was selbstverständlich eine Lüge war: Ihr neues Büro war allein zu Ehren dieses Treffens geschaffen worden. An ihrem eigentlichen Arbeitsplatz war man alles andere als begeistert gewesen von der Idee, ein deutscher Diplomat – und das hieß nichts anderes als ein Spion mit Immunität – würde dort herumschnüffeln.
    An allen vier Wänden des Sitzungszimmers waren riesige Transparente aufgehängt: mit Kohlestift gezeichnete Karten und szenische Entwürfe in fröhlichen Farben, Zeichnungen von

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