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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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saftigen Rasenflächen und erstarrten Zypressen, Soldaten in Uniform und hinter ihnen ein tiefblauer Fluss, Kinder mit karottenfarbenem Haar, die auf einem rosigen Weg stehen und einer Panzerkolonne in Krötenfarben zujubeln. Wo waren die Damen in Krinolinenkleidern und mit Sonnenschirmchen? Er unterdrückte ein Lachen: Die Kinder sahen aus wie Fische, die auf einer Bouillabaisse schwammen.
    Die Papierbahnen verbargen die Fenster und sperrten das Tageslicht aus. Zwei Tischlampen verbreiten trübes Licht im Raum und ließen ihrer beider Schatten von einem Transparent zum nächsten springen. Sie blieb in der Mitte des Raumes stehen, drehte sich auf Zehenspitzen einmal um sich selbst, als wäre sie selbst überwältigt von dieser Fülle und forderte ihn auf: Bitte, staunen Sie! Dann trat sie mit strahlendem Gesicht auf ihn zu, die verbundene Hand auf dem Rücken wie in einer galanten Geste der Ehrerbietung. Er konnte sich nicht erinnern, ob sie auch bei ihrem ersten Treffen die Hand hinter dem Rücken verborgen gehalten hatte. In dem Augenblick, in dem sie den Raum betreten hatten, schien alle kühle Höflichkeit von ihr abgefallen, als hätte es sie nie gegeben.
    Gewiss registrierte sie seine leichte Reserviertheit angesichts der Dekoration des Raumes, hegte offenbar jedoch keinen Zweifel an ihrer Fähigkeit, ihn dafür zu begeistern. Eine interessante Frau, die Genossin Weißberg … Sollten diese Karten und Skizzen tatsächlich eine so überwältigende Bedeutung für sie haben, oder war alles nur Maskerade? Wie enttäuschend, dass beide Möglichkeiten plausibel erschienen.
    Und noch eine Sache war unverkennbar: Die Parade schien ihre ganze Welt zu sein. An das Ende eines jeden Satzes, ja an die belangloseste Plauderei knüpfte sie eine Schlinge, die im nächsten Augenblick über einen anderen Satz geworfen wurde, ehe beide zusammen in eine Schlussfolgerung über den Nutzen für die Parade mündeten. Wenn sie merkte, dass seine Begeisterung abklang, beeilte sie sich, die nächste wunderbare Idee aufzubringen, wie ein Kind, das ein verglimmendes Feuerchen mit Reisern nährt.
    Hier die Karte der Parade des Jahres 1939, hier haben die Delegationen gestanden, und das ist die Route, auf der die Fahrzeugkolonne gefahren ist, die schwarze Linie markiert den Kordon der Zuschauer. Und hier die neue Parade: Ein Entwurf des Aufmarsches – die Truppen sind in drei Reihen angetreten, grasgrün, olivgrün und grau, dahinter Panzer mit dem Roten Stern und solche mit Hakenkreuz, leichte Artillerie, die Geschützrohre zum Horizont gerichtet, und hier der Weg durch die Straßen von Brest, exakt jener Route folgend, die sie den Vormittag über abgeschritten hatten. Die goldenen Punkte markierten die Kolonnen, die von den Brücken über den Fluss hinabrollen würden. Selbstverständlich würde sie jede seiner exzellenten Anmerkungen noch in die Planung mit aufnehmen.
    Umgehend brachte er seine »tiefe Bewunderung« für die Gestaltung der Karten und die geleistete professionelle Arbeit zum Ausdruck, hütete sich aber, ein Urteil über die zugrunde liegenden Ideen zu fällen. Als sie vor der letzten Karte standen, schmerzte plötzlich sein rechtes Knie, das bei dem morgendlichen Marsch arg belastet worden war, und er ließ sich auf einen der Stühle sinken. Sie aber blieb vor einer Zeichnung des mit Blitzen geschmückten Himmels über der Festung stehen und erläuterte ihre Vision – Scheinwerfer und Mündungsfeuer aus himmelwärts gerichteten Geschützrohren. Die Scheinwerfer erinnerten ihn an das Lichtboot der Waschmittelmarke »Persil«, einer seiner brillantesten Werbeeinfälle bei Milton, und auch an eine Parole, die einst den Himmel über Berlin erleuchtet hatte: »Paul Hindenburg zum Reichspräsidenten«.
    Sie strich ihr Kleid glatt, und im Nu wirkte der ganze Raum gepunktet: Wohin er seinen Blick auch richtete, tauchten rot-weiße Punkte vor ihm auf. Die Sorge beschlich ihn, sein Misstrauen gegen diesen Raum und gegen ihr sonderbares Verhalten könnten den Eindruck seines freundlichen Entgegenkommens zunichte machen. Vollkommen klar war, dass es für den Moment keine Möglichkeit gab, vernünftig mit ihr zu reden und ihr seinen Plan auseinanderzusetzen. Er würde nach und nach ihr Vertrauen gewinnen müssen, damit sie die Lage erkannte, wie sie nun einmal war.
    In kollegialem Ton fragte er, wie man im Außenministerium auf ihren Plan reagiert habe. Mit einer abwehrenden Bewegung fuhr sie zu ihm herum und sagte leise, wie er

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