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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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niemand sich an sie erinnerte. Schon wollte er sich wieder in das Wäldchen flüchten, denn außerhalb davon wurde man zu einer Beute. In letzter Zeit war ihm das Bewusstsein verloren gegangen, das ihn in den Räumen von Milton – die in gewissem Sinne diesem Wäldchen ähnelten – immer geschützt hatte, das Wissen darum, die Folgen seiner Taten voraussehen und die Zukunft planen zu können. Wie zum Beispiel hätte er vorhersehen können, dass das theoretische Modell, das er in Berlin entworfen hatte, als Exekutionsbefehl für die Archäologen in Warschau und Lublin dienen würde? Egal, wie sehr er sich über seine Schuld auch hinwegzusetzen versuchte, in seinen Träumen setzte ihm eine Klasse von Archäologiestudenten noch immer zu. Manchmal waren sie laut und ausgelassen, wie es sich für die kommende Generation gehörte, und manchmal traurig, wie von Waisen zu erwarten: »Herr Lehrer, Thomas!«, brüllten sie. »Denken Sie an uns, bitte … Wir möchten Ihre Parade sehen, auch Waisenkinder lieben Paraden! …«
    Vielleicht war ihm das Fräulein Weißberg erneut einen Schritt voraus? Verbarg die Parade in ihrem Kartenraum und dem Wäldchen, damit sie nicht in die Fänge der Mächte draußen geriet, während ausgerechnet er, der darauf beharrte, die Parade in der realen Welt zu verwirklichen, die Rolle des Narren geben musste?
    Sie brach das Schweigen und erzählte ihm, der Gorkom bestrafe Einwohner, die in der Stadt zersetzende Gerüchte über einen bevorstehenden Krieg verbreiteten, und entziehe ihnen die Parteimitgliedschaft. »Wir gehen unnachsichtig gegen Kriegstreiber vor.«
    »Zweifellos.«
    »Die Menschen glauben eher an einen Krieg als an unsere Friedensparade. Aber ich habe keinen Zweifel, dass am Ende alle von der Richtigkeit unseres Tuns überzeugt sein werden. In der Geschichte gibt es keine große Tat, die nicht auch mit der einen oder anderen Kassandra zu kämpfen gehabt hätte.«
    »Das haben Sie schön gesagt.«
    »Meinungsverschiedenheiten zwischen uns sind nur zu natürlich«, meinte sie leichthin. »Wir beide haben uns unserem Ziel so sehr verschrieben, dass jede Kleinigkeit uns am Herzen liegt. Ich sehe in unserem Disput eine Bereicherung, die uns auf dem Weg zu der wirklich großen Idee voranbringen wird, und ich fühle, dass wir ihr schon ganz nahe sind.«
    »Der wirklich großen Idee?«
    »Der wirklich großen Idee.«
    Eine kühle Abendbrise schlug ihm ins Gesicht. Er streifte sein Jackett über, doch sogleich brach ihm der Schweiß aus. Dieser Stoff war einfach zu dick. Ein Anflug von Grauen ließ ihn frösteln: Spürte sie nicht, dass die Erde reif für einen Krieg war?
    »Gospođa Weißberg«, sagte er, »wenn hier wirklich ein Narr gebraucht wird, bitte sehr, er steht vor Ihnen. Große Ideen oder nicht, meiner Ansicht nach wird man, wenn all dies ausgestanden ist, in zehn oder vielleicht in siebzig Jahren, Menschen, die an zu große Ideen glauben, in geschlossene Anstalten stecken. Historisch betrachtet könnte sich unser Plan am Ende als Gärmittel von Krieg und Tod erweisen, doch zum jetzigen Zeitpunkt ist, soweit ich es beurteilen kann, die Parade dazu geschaffen, den Tod von Millionen von Menschen zu verhindern. Aber wenn wir nicht etwas Außergewöhnliches unternehmen, fürchte ich, dass der einzige Ort, an dem die deutsch-sowjetische Militärparade marschieren wird, Ihre Karten sind.«
    Es schien, als hätte sie nicht die Absicht, etwas zu erwidern.
    »In Wahrheit hat man in Deutschland längst das Interesse an der Idee verloren. Die letzten beiden Telegramme, die Sie erhalten haben und die unsere Zusammenkunft bestätigen, sind allein in meinem Namen verfasst. Streng genommen sind sie gefälscht.«
    »Ich verstehe nicht«, ein Ausdruck fassungsloser Bestürzung breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Aber Sie sind doch hier …«
    »Ich bin hier, um Ihnen die Schreiben des deutschen Auswärtigen Amtes zu übergeben, in denen das Zustandekommen der Parade und der Termin bestätigt werden. Mein Plan ist, genau wie der Ihre, mehrstufig: Mit Hilfe von Briefen und Anordnungen werden wir unsere Regierungen in hektische Betriebsamkeit versetzen. In der ersten Phase wird Ihr Außenministerium die Schreiben aus Berlin erhalten. In der zweiten Phase werden Ihr General Pawlow und unser Feldmarschall von Bock das Programm der Parade erhalten, mit der nachdrücklichen Aufforderung sich zu treffen, um die letzten Einzelheiten zu regeln. Danach wird es noch vier weitere Phasen

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