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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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er möchte der Parade helfen.«
    »Und Sie wussten davon?«
    »Erst, als er bereits hier war.«
    »Und jetzt wollen Sie, dass wir mit ihm kooperieren?«
    »Ich möchte nur, dass Sie ihn aus seiner Bewusstlosigkeit holen.«
    »Sie sind verpflichtet, ihn in ein Krankenhaus zu überstellen und unser Außenministerium zu informieren, dort wird man entscheiden, wie mit ihm zu verfahren ist.«
    »Unmöglich. Er darf in kein Krankenhaus, Sie sind Arzt, retten Sie ihn, danach sehen wir weiter.«
    Sie sah ihn unverwandt an und hoffte, er verstünde, dass er keine Wahl hatte, dass er bereits mit von der Partie war, ob er nun wollte oder nicht. Sie hatte die Verantwortung an ihn als Vorgesetzten abgegeben, würde immer behaupten können, er habe die ganze Intrige geplant.
    »Es ist lange her, dass ich Medizin studiert habe«, wandte er ein. »An vieles erinnere ich mich nicht mehr.«
    »Sie erinnern sich gut genug! Wir müssen uns beeilen«, befahl sie.
    Er blieb wie erstarrt stehen und runzelte die Stirn, als müsste er diesen Befehlston verkraften.
    »Sie müssen mit mir kommen, Nikita Michailowitsch, sonst droht uns allen höchste Gefahr.« Sie blickte über seine Schulter in den dunklen Flur, an dessen Ende seine Frau und seine Kinder schliefen. Dieser Narr, plötzlich mimte er den Unschuldsengel. Der Mann, der Zehntausende von Kindern aus der Oblast hatte deportieren lassen, sollte es eigentlich besser wissen.
    Jetzt begriff er die Bedrohung, plötzlich fielen ihm ihre Treffen ein, all die amüsanten Zettel, die sie bei Besprechungen ausgetauscht hatten – sollte sie einige davon aufgehoben haben? Und wie schnell würde sie die Kontakte und die Stellung ihres Mannes in die Waagschale werfen? Würde er gegen sie beide ankommen können? Sicher formulierte Nikita Michailowitsch bei sich schon die Anschuldigungen, die sie ihm anhängen würde, die von ihr fabrizierten Beweise. Vielleicht erfasste er erst jetzt etwas, das er nie in seiner ganzen Bedeutung gesehen hatte: Vor ihm stand eine Frau, die ihre nächsten Angehörigen und Freunde ans Messer geliefert hatte, so dass sie über Arbeitslager im ganzen Land verstreut waren.
    In diesem Moment, als sie einander gegenüber standen und sich gegenseitig überlisten wollten, wurde ihr endlich klar, wer sie in den Augen anderer war. Wie viel Mühe hatte sie investiert, um sich dieser Deutung zu entziehen. Jetzt aber, da es ums Überleben ging, war sie bereit, mit Nadjeschdas Erklärung für ihre Taten zu wuchern und Nikita Michailowitsch zu verstehen zu geben, dass sie tatsächlich keine Skrupel kannte.
    Er hat Angst! Er fürchtet, ich könnte ihm zuvorkommen und »sein wahres Antlitz enthüllen«, wie es Resnikow mit Stjopa gemacht hat.
    Sie brachte ihr Gesicht nahe an das seine heran und flüsterte: »Wir dürfen ihn nicht länger allein in meinem Bett lassen, er kann sterben, während Sie hier wie ein Golem stehen!«
    »Zwei Minuten«, sagte er schließlich, drehte sich um und entfernte sich. Sie wartete auf ihn, während er sich ankleidete, und als es ihr zu lange dauerte, klopfte sie abermals an die Tür. Jetzt stand er in einem schwarzen Uniformmantel vor ihr, um den Hals einen dunklen Schal, in der linken Hand einen kleinen Koffer.
    »Da ist alles drin, was sie brauchen?«, fragte sie, und er nickte. Sie musterte seinen Körper, dachte an eine Pistole oder ein Messer, das er versteckt hielt – vielleicht in dem Koffer, in den Socken oder in den Schuhen. Am liebsten hätte sie ihn durchsucht, aber das wagte sie nicht. Besser, sie verhielt sich, als vertraute sie ihm. Er musste glauben, dass sich das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen wieder herstellen ließe. Beide waren sie Bündnisse eingegangen und hatten sie gebrochen, und wenn die Umstände es verlangten, würden eben neue Bündnisse geknüpft.
    Schweigend stiegen sie die Treppenstufen hinab, sie hörte ihn hinter sich keuchen und beschloss, den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Auch wenn er schwach wirkte und ihr zu gehorchen schien, musste sie stets in Erinnerung behalten, dass dieser Mann Menschen nicht nur mittels Verfügungen und Befehlen getötet hatte, sondern auch mit seinen eigenen Händen. Und genau wie sie schmiedete er sicher Pläne für das Ende dieser Nacht.
    Nikita Michailowitsch ging mit schweren Schritten hinter ihr her. Sie drehte sich um und drängte ihn, sich zu beeilen. Die Bedeutung ihres Tuns sickerte allmählich in ihr Bewusstsein: Nikita Michailowitsch würde ihr diese Drohung niemals

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