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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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einen bedeutenden Menschen, der nicht gegen seinen Ziehvater rebelliert hätte? Ich bitte Sie, Nikita Michailowitsch – so ist nun einmal unsere Welt. Und noch ein Punkt: Angenommen, Sie werden mit ihr fertig. Aber vergessen Sie nicht die Macht eines Maxim Podolski, ihres Gatten. Auch sollten wir den deutschen Emissär nicht gänzlich außer acht lassen, der hier vor Ihnen steht: Aus rein professionellen Gründen liegt mir die Genossin Weißberg am Herzen. Auch von Lublin aus könnte ich Ihnen noch schaden, könnte zum Beispiel Beweise vorlegen, dass Sie Spionage für Deutschland betrieben haben. Sie sind umzingelt, Genosse Kropotkin, ich bitte Sie also, Ihr Hemd auszuziehen und es mir zu reichen. Oh, ich sehe, dass ich auch Ihre Schuhe brauchen werde. Wenn ich jetzt aufbreche, werde ich die Grenze vielleicht noch rechtzeitig passieren können. Wie Sie wohl ahnen werden, habe ich die erforderlichen Arrangements getroffen, aber ich bin schon sehr spät dran, und diejenigen, die sich mit den dürftigen Papieren, über die ich verfüge, zufriedengeben sollen, könnten versucht sein, ihren Posten zu verlassen. Und daran sind wir nicht interessiert, habe ich recht?«
    Das Zimmer war zu winzig, um jedem von ihnen Raum zu lassen, schon die kleinste Bewegung konnte als Invasion auf das Territorium des anderen ausgelegt werden. Nikita Michailowitsch war zwischen Schminktisch und Wäscheleine gefangen und ließ geistesabwesend die Hand zwischen Unterwäsche und Strümpfen hin und her wandern. Er brauchte jetzt etwas zu trinken. Wenn er darum bäte, würde sie sagen, dass nichts im Haus sei außer Wasser. Wodka würde seine Entschlossenheit befeuern. Sie betastete ihre Beine und stellte fest, dass sie zerkratzt waren.
    »Welche Garantien können Sie mir geben, dass sie nichts gegen mich unternehmen wird?«
    Seine Frage überraschte sie, schließlich war er nicht der Typ, der sich auf solche Geschäfte einließ. Er sprach wie ein Schauspieler, der einen Satz deklamiert, den er nicht versteht.
    »Bei unseren Geschäften gibt es keine Garantien«, erwiderte Heiselberg munter, offenbar hatte er aus der Frage geschlossen, dass Nikita Michailowitsch den Lagebericht, so wie er ihn vorgetragen hatte, gelten ließ. »Das wissen Sie so gut wie ich. Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass Sie ihrer beider Karriere und sich selbst einen guten Dienst erweisen, wenn Sie einander leben lassen.«
    Heiselberg trat auf den Waschzuber zu. Er ging einen Schritt von Nikita Michailowitsch entfernt auf die Knie, wusch sich das Gesicht, spritzte sich ein wenig Wasser auf die Brust, tauchte seine Hände ein und strich dann abermals mit nassen Fingern sein Haar zurück. Er tat all dies mit größter Selbstverständlichkeit und Unbefangenheit, es fehlte nur noch, dass er dabei fröhlich gepfiffen hätte. Es schien, als wäre er in dem Augenblick, in dem er sich von dem Anfall erholt hatte, von neuer Kraft erfüllt, als könnte ihn jetzt, da er die Todesangst vertrieben hatte, nichts mehr ängstigen. Schon gar nicht Nikita Michailowitsch.
    Er hatte eine seltene Gabe der Hoffnung, nicht nur in seiner Art zu reden, sondern in seinem ganzen Wesen, dem kindlichen Glauben an seine eigenen Ideen. Jetzt wurde ihr auch klar, warum er sie im Wald so für sich eingenommen hatte, weshalb sie bereit gewesen war, alles zu tun, um ihn zu retten: In seinem Innersten glaubte er, dass auch ihre Parade die Welt verändern würde.
    Aber genau aus diesem Grund würde er auch nichts dazulernen. Er dechiffrierte Menschen nach einer Formel, von der er meinte, dass alle ihre Gültigkeit akzeptieren müssten. Niemals jedoch würde er Menschen vom Schlage Nikita Michailowitschs verstehen; Menschen, die von einem persönlichen Imperativ geleitet wurden, dessen Missachtung dem Sprung von einer Brücke gleichkam.
    »Mir scheint, Sie … nein, ich bin überzeugt, Sie verstehen die Situation nicht «, stellte Nikita Michailowitsch fest und fixierte den Deutschen, der sich mit einem Tuch die Brust abtrocknete. »Ich bin ein Ehrenmann und kein gläubiger Mensch, ein Unterschied, der Ihnen bewusst sein dürfte. Aber an eine Sache glaube ich: Es gibt keinen Fehler, der nicht irgendwann zu Tage tritt. Selbst wenn Sie mir ein Messer an die Kehle setzen, würde ich Ihren Vorschlag nicht akzeptieren. Und noch etwas will ich Ihnen sagen: Ich bin nicht hergekommen, weil ich Angst vor der jungen Genossin Weißberg gehabt hätte, sondern weil Ihr Tod in diesem Bett eine Krise hätte

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