Gute Leute: Roman (German Edition)
innerhalb der trotzkistischen Konterrevolution. Der Tod war eine zu milde Strafe für ihn«, schwadronierte Brodski und beäugte die verblichenen Tapeten.
»Es heißt, Bljumkin, der Verräter, habe Frauen verwöhnt, bis sie den Verstand verloren«, warf Emma Fjodorowna ein. »Beinahe wie unser Freund Brodski.«
Ossip Borisowitsch hätte von sich aus Bljumkin niemals ausdrücklich erwähnt, sagte sich Sascha. Er hatte den Befehl dazu erhalten. Vom NKWD? Nein, das wäre ein zu durchsichtiges Manöver, das ihn umgehend verdächtig gemacht hätte.
»Ossip Borisowitsch, wir schätzen deine Aufrichtigkeit, aber es ist sinnlos, hier Gerüchte und Mutmaßungen vorzubringen, für die es keine Beweise gibt«, sagte Valeria. Sie machte diese typische Bewegung: Ihre Hand fuhr auf Höhe der Augen vor ihrem Gesicht von einer Seite zur anderen, die Finger spielten in der Luft und bewegten sich zum Himmel als Zeichen, dass die Worte, die soeben gefallen waren, sich in Nichts aufgelöst hatten. Jedes Mal war Sascha von dieser vollkommenen Bewegung fasziniert. Die Gäste, die noch immer mit der Angst kämpften, welche die bloße Erwähnung von Bljumkins Namen geweckt hatte, schienen den sanften Unterton nicht zu bemerken, der Varlamows Zurechtweisung den Stachel nahm. »Du bist noch jung und weißt nicht, dass dies nicht unseren Gepflogenheiten entspricht«, ergänzte sie und nickte Lewajew zu.
Sascha verfolgte konzentriert ihre Eltern: Ausgerechnet ihr Vater war es, der, wenn auch mit Verspätung, die Bedeutung des samtweichen Tonfalls entschlüsselte und seine Frau mit einem erstaunten Augenaufschlag bedachte.
Alexandra wandte den Blick von ihrer Mutter ab. Sie konnte diese jämmerliche Frau nicht länger anschauen, inmitten ihrer Freunde, von denen jeder über die Treulosigkeit ihres Mannes Bescheid wusste. Doch gleich darauf spürte sie die Stacheln des Mitleids in ihrer Brust.
»Gewiss, gewiss, ich hoffe, die ganze Angelegenheit ist ein Missverständnis«, beeilte sich Lewajew zu erwidern. Valeria goss ihm ein schönes Gläschen Wodka ein, von dem er sogleich einen Schluck nahm und ein genüssliches Gurren hören ließ. »Aber die Dinge lassen sich nun mal nicht richtigstellen, wenn man nicht um deren Quelle weiß.«
»Welch ein Verlust Kirows Tod doch ist«, klagte Varlamow. »Er hatte eine seltene Begabung, Dinge richtigzustellen.«
»Vielleicht sollte sich der Genosse Varlamow einmal an seine Freunde wenden und sie um Rat bitten …«, feixte Brodski und registrierte vergnügt die aufgerissenen Augen seiner Freunde, als weigerten sie sich, das soeben Gehörte zu glauben: Du Wahnsinniger, solltest du wirklich gewagt haben, das »Namensgebet« heraufzubeschwören?!!
»Das ist jetzt wirklich nicht nötig!«, entfuhr es Ossip Borisowitsch.
»Unnötig, sich an Freunde zu wenden«, stöhnte Emma Fjodorowna und sah resigniert zu Varlamow, der wie eine Statue wirkte, in der sich ein Funken Leben entzündet hatte.
»Das ist im Gegenteil sehr vonnöten, sehr …«, entschied Brodski.
»Es wäre vollkommen überflüssig, und überhaupt, wir haben jetzt genug von traurigen Dingen gesprochen«, rief Valeria. »Emma Fjodorowna, bitte erzähle uns, wie dein neuer Gedichtband vorankommt!«
»Der geschätzte Dichter Varlamow möge sich an seine Freunde wenden, damit sie Nadka helfen«, wiederholte Brodski wie ein störrisches Kind.
Ein Schauder lief Sascha über den Rücken. Sie meinte zu verstehen, warum er derart amüsiert wirkte: Brodski war ein Mensch, der Macht respektierte; er suchte das Prinzip hinter den Vorgängen, und dies, weil es zumeist nicht möglich war zu erfahren, wer für eine bestimmte Tat verantwortlich zeichnete oder aus welchem Gebäude die Anweisung ergangen war. Oft quälte ihn die Frage, wer der Mächtige sein mochte. Jahre hatte er darauf verwandt, den Apparat der Verhaftungen und Denunziationen zu entschlüsseln, und war allem Anschein nach zu dem Schluss gekommen, dass sie keine Chance hatten, ungeschoren davonzukommen. Offenbar hatte er sich mit der Ahnung abgefunden, dass Nadja aussagen würde und sie alle verhaftet werden sollten, so dass ihm jetzt nichts anderes mehr blieb, als seine armseligen Freunde zu foppen. Sascha wagte nicht, noch länger in dieses blasse Gesicht zu schauen. Angewidert wich sie zurück und setzte sich schwer atmend auf ihr Bett.
»Sie haben auf meinen letzten Brief nicht geantwortet«, hörte sie undeutlich Varlamows Stimme. »Sie sind sehr beschäftigt mit
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