Gute Leute: Roman (German Edition)
Kristoporowitsch Merkulow wenden, nach seiner Ernennung zum Leiter der Abteilung …«
»Nein, besser wir wenden uns an jemanden aus den Literaturkreisen«, wandte Emma ein. »Brodski könnte doch an seinen geliebten Lehrer Tolstoi schreiben!« Sie warf einen Blick in die Runde, um sich zu vergewissern, dass alle den sarkastischen Unterton herausgehört hatten. »Er wird die Kritiken zu schätzen gewusst haben, die unser Freund Brodski über seine Bücher geschrieben hat.«
Sascha sagte sich, dass Emma eine wirklich großherzige Frau war. Schließlich könnte ihr eigenes Leben ungleich leichter werden in einer Welt, in der es Nadja nicht mehr gäbe – und dennoch war sie bereit, sich selbst in Gefahr zu begeben, um diese aus ihrer misslichen Lage zu befreien.
Brodski kraulte sich in aller Seelenruhe den rötlichen Bart und taxierte seine Freunde mit jenen hellen Augen, aus denen geistige Disziplin sprach. Und da sah Sascha die Augen ihrer Mutter sich verengen, und ihr bis dahin matter und nachdenklicher Blick fixierte Brodski. In ihrer Phantasie rasierte sie ihm den Bart ab und betrachtete prüfend sein nacktes Gesicht: Sollte er der Verräter sein? Doch vielleicht waren all diese Ängste übertrieben, vielleicht waren die Schreckensgerüchte, die so mancher im stillen Kämmerlein verbreitete, an den Haaren herbeigezogen und fachten nur das Misstrauen an. Vielleicht gab es überhaupt keinen Verräter unter ihnen?
»Zwecklos, sich an Tolstoi zu wenden«, ließ sich Brodskis sanfte Stimme vernehmen. »Er hat das Poem gelesen, in dem Nadja ihre Meinung über sein Werk zum Ausdruck bringt: ›Stiefelspuren im Schnee sind bessere Literatur.‹ Gerade erst haben wir uns mit der Bitte an ihn gewandt, er möge ihr Bezugsmarken für einen Pullover und eine Jacke zukommen lassen. Den Pullover hat er bewilligt, die Jacke aber gestrichen.«
»Wie kommt es, dass sie um Bezugsmarken betteln muss? Erhält sie denn keine Pension?«, fragte Muraschowski.
»Die Pension haben sie Nadja schon lange gestrichen und sie auf Altersrente gesetzt«, griente Brodski. »Mit Müh und Not einhundert Rubel.«
»Man hat ihr geschrieben: ›Ihnen wurden Altersbezüge gewährt dank Ihrer ergebenen Arbeit für die russische Literatur und aufgrund der Unmöglichkeit, Ihre Gedichte zurzeit zu verwenden‹«, sagte ihr Vater traurig. »Der Vertreter des Verbandes hat ihr außerdem gesagt: ›Es wäre an der Zeit, dass Sie aufhören, Lyrik zu schreiben.‹«
Am Rande von Saschas Bewusstsein flackerte ein Erinnerungsbild auf: Sie sitzen in Varlamows Garten, und der alte Dichter schwingt eine seiner Reden. Da umarmt Nadja sie und flüstert ihr ins Ohr: »Mädchen, wenn du eine Dichterin werden willst, behalte nur eines in Erinnerung – wahre Dichter nähren niemals das Geflüster der Nostalgie.«
Sie vertrieb das Bild und betrachtete ihre Mutter, die einen Teller mit Mohnplätzchen auf den runden Korbtisch stellte. Unter dem Tisch schauten die abgewetzten Hausschuhe der Zwillinge hervor. »Mir ist gerade etwas eingefallen«, sagte Ossip Borisowitsch, »und es ist meine Pflicht, dies hier zur Sprache zu bringen: Hat es in den zwanziger Jahren nicht eine gewisse Verbindung zwischen Nadka und Bljumkin gegeben? Wäre es möglich, dass dies die Wurzel der Anschuldigungen gegen sie ist?«
Die Stille im Salon wurde nur durch das Klappern von Brodskis Gabel gestört.
Ihr Vater schloss die Augen, wie er es immer tat, wenn Dinge gesagt wurden, die seiner Ansicht nach nur aufgrund irgendeiner Niedertracht oder eines grausamen Schicksals seine Ohren erreichten.
»Dieser Kretin, Bljumkin, ist einer der größten Schurken gewesen!« Varlamow hob die Stimme und bedachte die Wand mit einem entschlossenen Blick. »Ein Mörder, der das Proletariat verraten und am Ende noch gewagt hat, sich mit den Umtrieben der Trotzkisten gemein zu machen. Seine Erschießung war der Partei ein Feiertag!«
Alexandra unterdrückte ein Lachen. Diese Angewohnheit, zur Wand zu sprechen, war neu. Daran, dass Telefongespräche abgehört wurden, zweifelte niemand mehr, weshalb man in letzter Zeit begonnen hatte, die Frage der Wände zu erörtern: Wurden vielleicht auch Mikrophone in den Hausmauern angebracht? Und wenn ja, in welchen? In ihren Kreisen glaubte man zwar nicht, dass so etwas machbar sei, aber immerhin hatten sie gelernt, dass es Dinge gab, die besser gleich zur Wand gesprochen wurden.
»Bljumkin war ein dreckiger Hund, ein Feind des Volkes und eine zentrale Schraube
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