Gute Leute: Roman (German Edition)
romantisch.«
»Haben Sie gehört, dass Helene von Brinck sich letzte Woche das Leben genommen hat?«, flüsterte die Frauenschaftlerin.
»Alles nur, weil ihr nichtsnutziger jüdischer Therapeut verschwunden ist«, rief eine aufgebrachte Dame.
»Aber sie war verliebt in ihn«, erklang abermals die frische Stimme.
Thomas wollte sich umdrehen und einen Blick auf diese junge Frau werfen, fürchtete aber, zu aufdringlich zu erscheinen.
»Ich habe ihr geraten, mit dieser Behandlung aufzuhören, dieser Jude hat sie nur noch tiefer in krankhaften Phantasien versinken lassen!«, kam es empört zurück.
Wie zum Teufel war er sich dessen noch nicht bewusst geworden? Gewiss, ab und an war ihm ein solcher Gedanke gekommen, hatte sich jedoch nicht zu wirklichem Verstehen verfestigt. Nur die Angst konnte wohl einen solch einfachen Sachverhalt verschleiern: Erika Gelbers Zeit in Berlin war abgelaufen.
Gleich nach jener Novembernacht war sie aus ihrer Klinik entfernt worden. Offenbar hatten die Personen, die sie geschützt und den Entzug ihrer ärztlichen Zulassung hinausgezögert hatten, nichts mehr für sie tun können. Einige Tage später hatte sie ein Schreiben erhalten, in dem ihr untersagt wurde, weiterhin Deutsche zu behandeln, und man sie zudem verpflichtete, eine Sonderabgabe zu zahlen für den an ihrem Büro entstandenen Sachschaden … Thomas hatte sie nichts davon erzählt, niemals ließ sie ihn an ihren Nöten teilhaben. Auch als das Berliner Psychoanalytische Institut arisiert wurde und sie alle Verbindungen dazu abbrechen musste, hatte er die Einzelheiten erst aus persönlichen Quellen erfahren.
In jener Woche hatte er sie angerufen, um sich zu vergewissern, dass sie gesund und wohlbehalten war, und hatte sie vom Tod seiner Mutter in Kenntnis gesetzt. Sie hatte, selbstverständlich, ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht, ihm jedoch eine Woche später mitgeteilt, zu ihrem Leidwesen könne sie ihn nicht weiter behandeln. Er hatte sie überredet, ihn zu einer letzten Sitzung zu empfangen, bei der er ihr dann ein doppeltes Honorar anbot, in bar, vorausgesetzt, die folgenden Termine würden bei ihm zu Hause stattfinden. Er beschwatzte auch Paul Blum, einen Freund, der bei einer der jüdischen Banken arbeitete, sich einer Analyse zu unterziehen. Die Analytikerin müsse selbstverständlich ebenfalls Jüdin sein, und Erika Gelber sei die Beste von allen. »Es widerfahren dir Dinge, Blum, die ein Mensch nicht ertragen kann. Du musst solche Erlebnisse verarbeiten, sonst wirst du verrückt. Und du weißt ja, welcher Schicksalsschlag mich getroffen hat – ohne Erika wäre ich von einem Turm gesprungen.«
Blum war mit den Sitzungen zufrieden, worauf Thomas nach weiteren Juden in Not suchte, die er ihr vermitteln konnte. Erika hatte keine andere Wahl, sie brauchte das Geld. Und wozu? Um ins Ausland zu gehen. Jetzt endlich begriff er, dass die paar jüdischen Patienten sie nicht in Berlin halten würden.
Thomas sah sich um: Der Leiter der französischen Dependance war nirgends zu sehen, jedoch näherte sich jetzt Rudolf Schumacher. Seit dem letzten Mal war er noch feister geworden. An seinem Frack waren einige Nähte aufgeplatzt, und einen der Westenknöpfe ersetzte eine Sicherheitsnadel. Wie konnte ein Mensch sich in derart heruntergekommener Aufmachung in der Öffentlichkeit zeigen? Nach dem Tod von Thomas’ Mutter hatte Schumacher begonnen, ihn mit Gesten der Zuneigung und Sorge zu behelligen. Thomas konnte sich zwar nicht erinnern, dass der Fettwanst jemals mit ihm vertraut gewesen wäre, auch nicht während ihrer Zeit an der Universität, aber Schumacher, der im Wirtschaftsministerium arbeitete, verfügte über nützliche Informationen.
Jetzt entzog er sich Schumacher und eilte zur Toilette. Im Gang standen Pagen in dunkelblauer Livree mit weißen Servietten über dem Arm.
»Thomas«, hörte er plötzlich die Stimme von Frau Günther hinter sich. Wie sie diesen Augenblick genießen musste, in dem er sich zu ihr umdrehte, um dem Befehl ihrer Stimme Folge zu leisten.
»Thomas«, sagte sie abermals. »Herr Fisk bittet darum, dass Sie uns in dieser Woche zu dem Treffen im Reichsluftfahrtministerium begleiten.«
»Handeln wir jetzt etwa mit Flugzeugen, Frau Günther?«
»Helmut Wohlthat wird die Besprechung leiten«, erwiderte sie, beglückt, ihn überrascht zu haben. »Kennen Sie ihn?«
»Sie wissen sehr wohl, dass wir uns schon begegnet sind.«
»Wenn es so ist, wissen Sie sicherlich auch, dass er kraft seiner
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