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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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lange nicht gesehen«, antwortete Carlson Mailer zerstreut.
    »Hauptsturmführer«, berichtigte Bauer steif. »Wir haben uns vor genau einer Woche gesehen.«
    »Heutzutage eine Ewigkeit!«, rief Carlson. »Vielleicht sollten wir Ihnen etwas zu trinken besorgen?«
    »Nein, danke, Herr Mailer, ich beabsichtige nicht, lange zu bleiben«, erwiderte Hauptsturmführer Bauer. Ein Abscheu, den er nicht zu verbergen suchte, mischte sich in seine ohnehin schon kühle Stimme. »Die Wahrheit ist, dass ich einigermaßen überrascht war von Ihrer Entscheidung, in diesem Jahr einen Ball zu geben.«
    »Tatsächlich? Es ist schon Tradition bei der Milton-Group. Sie werden wohl nicht bestreiten, dass wir heute Nacht ein neues Jahr begrüßen!«
    »Eine zehnjährige Tradition«, bekräftigte Thomas. Sein Ton war hoffentlich nicht zu devot?
    »Jetzt, da Ihr Botschafter Deutschland verlassen hat, sind die Beziehungen zwischen unseren Ländern nicht mehr dieselben«, meinte der Offizier bestimmt. Noch immer würdigte er Thomas keines Blickes.
    Carlson hatte verstanden. Seine Augen verengten sich, und auf seiner Stirn pulsierte eine Ader. Er beugte sich zu dem Offizier hinab. »Hauptsturmführer Bauer, sprechen Sie jetzt im Namen Deutschlands? Denn ich habe heute Abend hier Menschen getroffen, die in der Tat berechtigt sind, im Namen Ihres Heimatlandes zu sprechen, und sie zeigten sich überzeugt, dies alles sei nur ein Missverständnis. Vielleicht besteht kein Bedarf an zu eifrigen jungen Leuten, die dort nach Gift suchen, wo Freundschaft herrscht. Heute Abend finden auf vier Kontinenten fünfzehn Feiern von Milton statt, und raten Sie mal, welche Jack Fisk, der Präsident unseres Unternehmens, mit seiner Anwesenheit beehrt?«
    Zuweilen vermochte Carlson positiv zu überraschen. Auch Thomas verabscheute diesen Dünkel jedes Schuhputzers, im Namen Deutschlands Reden zu schwingen.
    Zumindest dieses eine Mal schonte Carlson ihn und bemühte nicht den Titel »unser leitender Teilhaber, Thomas Heiselberg«. Bei seinen ersten Begegnungen mit Vertretern des Regimes hatte er Thomas als Kollegen in dem deutsch-amerikanischen Unternehmen vorgestellt. »Und der Bursche ist vierhundertprozentig arisch«, hatte er regelmäßig hinzugefügt, als ginge es um Alkohol. »Gehen Sie bei ihm ruhig zurück bis ins Mittelalter – alles arisch!« Im stillen Kämmerlein jedoch pflegten Mailer und Fisk sich unbekümmert über diesen Unsinn mit der arischen Herkunft lustig zu machen.
    Bauer schwieg und wandte den Blick nicht von Carlson. Zwei senkrechte Falten hatten sich über seiner Nasenwurzel gebildet. Thomas war überzeugt, dass Carlsons Provokation auch dazu bestimmt war, die Frau mit dem Diadem zu beeindrucken, die jetzt zu ihnen herüberschaute.
    »Ich hoffe sehr, dass es nur ein Missverständnis ist«, zischte der Offizier. »Viele Ihrer geladenen Gäste sind heute wegen dieser Brüskierung nicht erschienen. Wäre es etwa denkbar, dass wir unseren Botschafter aus Washington abberufen, nur weil sich bei Ihnen in Amerika ein paar Neger beklagt haben?«
    »Nun gut, wir werden heute Abend nicht alle Probleme der Welt lösen«, erwiderte Carlson ungehalten und machte einen Schritt rückwärts in dem Bemühen, Bauer loszuwerden. Seine gute Laune war verflogen. Unerwartete Schwierigkeiten weckten bei ihm immer das Gefühl, ihm widerfahre ein persönliches Unrecht.
    »Sie werden sicher verstehen, dass die erwähnten Vorkommnisse Auswirkungen auf unsere gemeinsamen Geschäfte haben könnten. Die Leute von Reichsmarschall Göring sind alles andere als glücklich«, verabschiedete sich Bauer mit einer letzten Bemerkung, ehe er ihnen seine gestraffte Rückenansicht zuwandte.
    Carlson schien für einen Moment konsterniert, dann murmelte er: »Fahr zur Hölle, du Hurensohn.« Er blieb noch einige Minuten so stehen, rief die Kellnerinnen »Süße« und »Püppchen« und stürzte ein Getränk nach dem anderen hinunter. Dann schaute er sich um und kollerte mit blutunterlaufenem Blick: »Sorgt dafür, dass dieser Kerl nicht noch einmal in meine Nähe kommt!«
    Thomas führte ihn in eine Ecke, und Carlson räumte ein, dass Bauer exakt die Stimmung getroffen hatte, die zur Zeit in Amerika herrschte: Fisk etwa habe Andeutungen von gewissen Regierungsbeamten bekommen, sogar von Senatoren, die von ihm verlangt hätten, die Kontakte Miltons zu Deutschland zu überdenken. »Und weißt du, was er ihnen geantwortet hat, der alte Fuchs? Er hat ihnen gesagt, er habe von Freunden

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