Gute Leute: Roman (German Edition)
zur Seite gestoßen, offensichtlich zum ersten Mal in seinem Leben – der herrische Ausdruck war aus seinem Gesicht gewichen.
Jetzt bemerkte Thomas Schumacher, der rabiat zwei Gäste wegstieß, um sich Fisk zu nähern. Zwei spindeldürre Damen betrachteten ihn angewidert und protestierten aufgebracht. Schumacher streckte dem Präsidenten von Milton die Hand hin, und dieser ergriff sie mutig mit beiden Händen. So standen sie dicht beieinander, zwischen sich nur den kleinen Hügel aus Händen, und brüllten sich Höflichkeitsfloskeln zu. Wann war die Macht eines Menschen wie Fisk am meisten zu bewundern? Wenn sich ein Anzeichen von Schwäche an ihm zeigte, ein Beleg für den Kampf, der in ihm tobte, und man begriff, wie entschlossen er sein musste, nichts davon preiszugeben? Jetzt kam Carlson zu Fisk geeilt, Hand in Hand mit der Dame aus dem Patio, die mit der anderen Hand ihr Diadem hielt, und legte den Arm um Fisks Schulter. Die drei wirkten wie verstörte Passagiere an Deck eines wild stampfenden Dampfers. Thomas ergötzte sich an ihrer misslichen Situation. Sehr interessant: Unter dem Vorwand einer Marktanalyse für die Dresdner Bank – und wahrscheinlich gegen ein hübsches Salär – mischte Milton mit bei einem dieser fragwürdigen Geschäfte, bei denen jüdischer Besitz zu Spottpreisen erworben wurde.
Ein Ellbogen stieß gegen seine Hand. Jemand muss hier für Ordnung sorgen, und zwar schnell, durchfuhr es ihn, während er an die Wand gedrückt wurde. Von der Bühne kam ein Fanfarenstoß, gleich darauf ein Trommelwirbel und der Takt eines Militärmarsches.
»Ein wichtiger Gast ist eingetroffen …«, rief eine junge Frau einem kleinen Mädchen zu, und ihre Stimme überschlug sich vor lauter Neugier.
»Heben Sie das Mädchen hoch!«, brüllte Thomas ihr zu. »Man wird uns hier noch tottrampeln.«
***
Der erste Blick nach dem Erwachen prallt von der weißen Wand ab. Es riecht nach frischer Farbe.
In den letzten Wochen wachte er immer früh auf, so gegen fünf, so dass ihm viel Zeit blieb, bis er ins Büro musste. Er wanderte im Morgenmantel durch die Zimmer, schaute auf die Straße und wartete auf den alten Wagner, der sich um Punkt sechs vor dem Café niederzulassen pflegte, das ihm früher gehört hatte. In der Kindheit hatte Wagner ihn immer das Eis anschreiben lassen, bis sein Vater ihm verbot, etwas »ohne Geld« zu kaufen, und behauptete, die Juden würden Kinder zum Eisessen verführen und ihren Eltern dann die Rechnung präsentieren. Im letzten Jahr hatte Wagner sein Café an einen Deutschen verkaufen müssen, der sich herabließ, ihn als Leiter des Lagers weiterzubeschäftigen.
In der Wohnung waren keine Zeugnisse aus jener Nacht des Überfalls verblieben, abgesehen von dem zerbrochenen Fenster im Schlafzimmer seiner Mutter. Die neuen Möbel erinnerten nicht an ihre Vorgänger, außer dem neuen Sofa im Flur vielleicht, das er im selben Geschäft erstanden hatte, in dem sie einst das rote Sofa gekauft hatte. Dessen Kissen hatten sie mit Messern aufgeschlitzt und die Federn in der ganzen Wohnung verteilt.
In jener Nacht war er bei seiner Rückkehr nach Hause zuerst in eine weiße Daunenwolke getreten, hatte jedoch sogleich unter seinen Schuhen das Geräusch knirschender Glassplitter vernommen. Fensterscheiben, Porzellanschüsseln, Lampen, Spiegel – in der Wohnung hatte kaum ein Gegenstand den Besuch von Hermann und seinen Kameraden unbeschadet überstanden. Sogar die Türen waren aus den Angeln gehoben und in die Zimmer geschleudert worden. Schränke und Kommoden waren zertrümmert, Gasleitungen und Stromkabel aus der Decke und den Wänden gerissen. An die Wand im Badezimmer hatten sie mindestens ein Dutzend Gläser mit eingemachten Früchten geschleudert, und das Waschbecken und die Toilette waren voller Mehl, das mit Seifenpulver und Blut gemischt war.
Frau Stein hatte Stichverletzungen am ganzen Körper. Ihr Leichnam lag mit dem Gesicht nach unten, der Kopf in der Armbeuge verborgen. Er hatte sich über sie gebeugt und sie umgedreht. Als er ihr von einer blutgetränkten Mehlschicht bedecktes Gesicht sah, begriff er, dass man sie nach den Messerstichen im Mehl des Waschbeckens erstickt hatte. Er nahm ein paar Hände voll Federn und bedeckte damit ihr Gesicht.
Nachbarn kamen die Treppe herauf und herunter und warfen einen Blick in die Wohnung. Doch nur Klarissa Engelhardt, die Tochter der Nachbarn aus dem ersten Stock, trat über die Schwelle und sammelte die Glasscherben vom Boden
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