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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Gesicht, das ihre dunklen Augen betonte.
    Beide schauten ihn jetzt an: Blum erwartete eine Erklärung, warum er herbestellt worden war, und Erika harrte des Augenblicks, in dem Thomas ihr ein Zeichen gab, sich an Blum zu wenden.
    Doch mit einem Mal schien ihm, als erheischten ihre Blicke mehr von ihm. Was genau wollten sie? Sollte er Verantwortung übernehmen, auf die Heimat schimpfen, ihnen erklären, wie alles gekommen war? Jetzt hustete Blum, und Erika sagte etwas zu ihm in so behutsamem und sanftem Tonfall, dass es gar nicht wie Deutsch klang. Als wollte sie sich wie ein kleines Mädchen an ihn schmiegen.
    Offenkundig spielte nicht nur Klarissa an diesem Abend eine ihr neue Rolle.
    Inzwischen hatte Thomas beschlossen, sich an beide gemeinsam zu wenden, um die Nähe und Schicksalsverbundenheit zwischen ihnen zu unterstreichen: »Herr Blum, Frau Gelber«, sagte er, »ich verstehe, dass es dieser Tage nicht leicht für Sie ist. Ich glaube auch nicht, dass es möglich ist, einen Menschen wirklich zu trösten, dessen Welt sich zum Schlechten gewandelt hat. In aller Offenheit sage ich Ihnen, dass selbst in den schwersten Momenten, die mir in letzter Zeit widerfahren sind, wie etwa in jener furchtbaren Nacht, in der in diesem Salon unsere geliebte Haushälterin Hannah Stein ermordet wurde – dass ich auch in jenen Augenblicken an dem Glauben Hegels festgehalten habe, die Geschichte werde letzten Endes voranschreiten und auch die schrecklichsten Ereignisse werden zu einem Fortschritt führen.«
    »Ein sehr bescheidener Trost, in dem Leid, das uns trifft, ein Werkzeug der Vernunft zu sehen.« Erika Gelber ließ sich keinerlei Überraschung ob der Nachricht von Frau Steins gewaltsamem Tod anmerken und wirkte ganz und gar auf Blum konzentriert.
    Blum nickte finster zum Zeichen, dass er sie gehört habe, doch rückte er unmerklich von Erika Gelber ab. In eine Gruppe mit ihr wollte er nun wirklich nicht gesteckt werden. Anders als Erika, die als Volljüdin galt, war Blum als »Mischling ersten Grades« eingestuft worden und hatte sich ohnehin nie als Jude gesehen. Sein Vater war unmittelbar nach dem großen Krieg zum Christentum übergetreten, und seine Mutter stammte aus einer protestantischen Heidelberger Familie. Zwar war er von den meisten Beschränkungen ausgenommen, beklagte sich jedoch, seine leitende Funktion in einem Bankhaus, das sich in jüdischem Besitz befinde, treibe ihn in den Schoß des Judentums und in die Arme »all dieser jüdischen Organisationen«.
    »Ich verstehe nicht viel von Irrationalismus!«, kollerte er jetzt aufgebracht, und die Falten auf seiner Stirn röteten sich wie Schnittmale. »Vierzig Jahre habe ich in dieser Bank gearbeitet. Von Null an haben wir ein hervorragendes Geldinstitut aufgebaut, das überall in den höchsten Tönen gelobt wurde, und jetzt raubt man es uns!«
    Thomas warf Blum einen warnenden Blick zu. Wie dumm musste ein Mensch sein, um lauthals in einem Mietshaus solche Unflätigkeiten von sich zu geben, in einer Wohnung, die gerade erst von der SS auf den Kopf gestellt worden war?
    »Herr Blum, ein wenig Contenance«, entfuhr es Thomas. »Wir alle sind ein beträchtliches Risiko eingegangen, um hier zusammenzukommen. Es wäre schade, wenn wir uns von der Verbitterung in eine Sackgasse treiben ließen.«
    Klarissa erschien, um das Geschirr abzutragen. Doch jetzt waren ihre Bewegungen brüsk, von ihrer Fröhlichkeit war nichts mehr zu spüren. Wenn die Dinge, die sie hier zu hören bekam, von der Art waren, dass sie besser niemals gesagt worden wären, konnte es durchaus sein, dass sie ihren Eltern von diesem Abendessen erzählte, ihren Freundinnen an der Universität oder bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, in der sie als Freiwillige tätig war. Aber sie war nicht der Typ Denunziantin, in diesem Punkt war Thomas sich schon seit einiger Zeit sicher.
    »Unabhängig von den letzten Ereignissen, ich erwarte, ja ich verlange, dass Sie in mir genau den Freund sehen, der ich Ihnen immer gewesen bin«, verkündete Thomas gerade feierlich.
    »Mögen Sie kein Schnitzel?«, wandte sich Blum unversehens an Erika, die Augen auf das Stück Fleisch auf ihrem Teller gerichtet.
    »Wenn Sie es möchten, bitte sehr.« Sie legte das Schnitzel zurück auf die Platte.
    »Wir werden es uns teilen«, entschied Blum.
    Vor dem Dessert bot Thomas Blum eine Zigarre an, und Erika nutzte den ruhigen Moment, sich an Blum zu wenden. Sie erzählte ihm, ihr Mann sei im November verhaftet worden

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