Gute Leute: Roman (German Edition)
und von Weizsäcker, die ihn auf einen solchen Anwurf vorbereitet hatten. »Ihre Anmerkungen sind äußerst konstruktiv, und selbstverständlich teile ich Ihre Ansicht, doch zu meinem eigenen Bedauern führen sie zu nichts. Das besagte vierte Kapitel ist eine eigenständige Untersuchung, die die Art und Weise spiegelt, in der der polnische Mensch, und nur er allein, seine Identität und seine Sicht auf die eigene Vergangenheit ausprägt, wobei es nicht das Geringste ändert, wenn die historische Forschung nun nachweist, dass ein Staat namens Polen zu jenen Schimären gehört, wie man sie in den zurückliegenden zwei Jahrhunderten großzügig in die Welt gesetzt hat. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Angenommen, ein Mensch möchte ein Unternehmen erwerben. Zunächst wird er die Bilanzen prüfen. Danach jedoch wird er versuchen herauszufinden, in welchem Maße die jetzigen Eigentümer an eine Zukunft ihres Unternehmens glauben. Denn ein Mensch, der seine Firma für seine ganze Welt hält, wird anders verhandeln als ein Mensch, der überzeugt ist, dass ein Unternehmen nicht mehr ist als ein Zahlungsmittel, das an einen Kaufmann übergeht, selbst wenn der eine nur wenig zum Wohlergehen des Unternehmens beigesteuert hat, während der andere ihm seine besten Jahre geopfert hat.«
Stille trat ein, in der Thomas vor allem die Atemzüge Wellers und Schnurres hörte. Es genügte ein flüchtiger Blick auf Wellers Gesicht – in dem der Wunsch geschrieben stand, Thomas gleichzeitig loszuwerden und zu retten –, um zu verstehen, dass sein Beispiel bei den im Raum Versammelten nicht gut angekommen war, ja vielleicht gar seine Gegner bestärkt haben mochte in ihrem Misstrauen hinsichtlich seiner unverhohlenen Sympathie für den Kapitalismus, seiner Kontakte zu den Amerikanern, seines verspäteten Beitritts zur Partei und vielleicht auch der sonderbaren Geschichte mit der jüdischen Hausangestellten. (Weller hatte sich die Mühe gemacht, ihn über alle im Umlauf befindlichen Verleumdungen in Kenntnis zu setzten, und auch über seine eigene Antwort, in der er angeblich die Integrität des verstorbenen Herrn Heiselberg und dessen Treue zur Partei gerühmt hatte.) Lektion eins, stellte er bei sich fest: Verwende keine Beispiele aus der Geschäftswelt.
»Der Grad der Bereitschaft des Polen, bis in den Tod zu kämpfen und uns das Leben schwer zu machen, ist nicht abhängig von einer historischen Wahrheit«, mischte Weller sich schließlich ein, »sondern einzig und allein von der Gesamtheit seiner Glaubensüberzeugungen und Ansichten, weshalb zum Zwecke der Erörterung, und ich betone, allein zu diesem Zwecke, wir davon ausgehen sollten, dass es einen nationalen polnischen Menschen gibt.«
Der Vertreter des Justizministeriums schloss sich Wellers Worten an und fügte triumphierend hinzu: »Die Geschichte lehrt, dass Dumme wie Gescheite im Namen ihres Glaubens kämpfen. Der Dumme kämpft nicht weniger gut als der Gescheite.«
Ein junger Doktor aus dem Fachbereich für eugenische Studien am Kaiser-Wilhelm-Institut interessierte sich in provokantem Tonfall für den wissenschaftlichen Hintergrund des sechsten Kapitels, das sich mit der polnischen Rasse befasste. »Warum haben Sie nicht Fachleute auf diesem Gebiet wie Hans Günther oder Robert Ritter zu Rate gezogen? Und warum findet sich in dieser Runde hier kein Vertreter von Rosenbergs Institut?«
Weller antwortete ihm, in das Modell seien die Schriften und Urteile aller Experten für die Belange Polens eingeflossen, ferner umfangreiche wissenschaftliche Literatur, die Untersuchungen verschiedener polnischer Fachleute und Berater aus weiteren Staaten, dazu Quellenmaterial, das Interviews mit Tausenden von Polen umfasse, und die Erkenntnisse von Unternehmen, die in Polen tätig gewesen seien. »Das vom Auswärtigen Amt vorgelegte Modell ist das umfassendste, das es zurzeit in Deutschland gibt.«
Daraufhin verkündete Bruno Beger, Vertreter des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS – Weller hatte Thomas unter dem Siegel der Verschwiegenheit berichtet, man erwäge dort eine Massensterilisation der Polen –, was er über die Arbeit des Archäologischen Zentrums in Polen gelesen habe, hätte ihn mit Zorn erfüllt. »Sei’s drum, wenn diese Einfaltspinsel nach den Wurzeln der slawischen Völker suchen«, erregte er sich, »sei’s drum, wenn sie ganze Tage in ihren finsteren Kirchen verbringen und mit Kalbsaugen auf die Altäre stieren, aber Forschungsinstitute errichten? Nach den
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