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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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vorzuschlagen.«
    Beger ließ sich von der schneidigen Antwort beeindrucken.
    Während des Mittagessens, als die Gäste sich über die Speisen beugten, die in Schüsseln der Königlichen Porzellan-Manufaktur aufgetragen wurden, saß Weller neben Thomas und informierte ihn flüsternd, er mache sich Sorgen, weil Sievers von der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe dem Außenminister ein erbostes Schreiben geschickt habe. Darin wettere er gegen das Modell mit dem Argument, sein Institut sei die führende wissenschaftliche Einrichtung in allem, was die Erforschung der Geschichte der arischen Rasse und ihren Vergleich mit anderen Rassen betreffe, und es könne nicht angehen, dass jeder dahergelaufene Hanswurst sich hinstelle und sich zum Experten für Polen erkläre.
    »Wissenschaftliche Verunglimpfungen dieser Art sind ein großes Kompliment«, erwiderte Thomas hochmütig. »Und unter uns, Weller, was ist eine wissenschaftliche Disziplin? Doch nur eine Dehnung oder Stauchung von Wissen, dem herrschenden Zeitgeist und den gegenwärtigen Machtverhältnissen gemäß. Um den afrikanischen Kontinent zu plündern, ist die Wissenschaft der Engländer zu der Erkenntnis gekommen, die Neger seien nur Viertelmenschen, während Franzosen und Belgier die Neger aus ein und demselben Dorf in ›farbige Weiße‹, ›Europäer mit schwarzer Haut‹ und ›minderwertige Neger‹ unterteilt haben. Auch die Wissenschaft der Amerikaner ist zu entsprechenden Schlüssen gelangt. Nenne mir deine Anforderungen, und ich stricke dir eine passende Disziplin.«
    Weller setzte eine finstere Miene auf und entfernte sich von der Gruppe. Hin und wieder neigte er zu wirklichem Pharisäertum, was ihm glücklicherweise jedoch immer erst einfiel, wenn die richtigen Entscheidungen bereits getroffen waren. Thomas erging sich während des Essens in Erinnerungen, die sich um die Tätigkeit seines Vaters im Berlin der Kampfzeit und um dessen Freundschaft zu Horst Wessel drehten.
    Als man sich wieder im Sitzungsraum versammelt hatte, entschuldigte sich von Weizsäcker mit anderen Verpflichtungen und verließ die Veranstaltung. Der Rest des Tages verlief in weniger angespannter Atmosphäre. Thomas beantwortete sämtliche Fragen, wobei seine Eloquenz seine Opponenten in einen Zustand ermatteter Niedergeschlagenheit zu versetzen schien.
    Gegen Ende des Seminars meldete sich der Vertreter der Deutschen Arbeitsfront mit der Frage: »Warum bezeichnet Herr Heiselberg den polnischen Menschen als ›Idealtypus‹? Was soll an diesen Polen ideal sein?«
    Gelächter und Spottrufe ertönten von allen Seiten. »Schaufel über!«, rief plötzlich jemand, und das Gelächter dröhnte durch den Raum. »Jawohl, Schaufel über!«, grölten weitere Stimmen.
    Der Vertreter der Arbeitsfront, der sich wahrscheinlich in schöner Regelmäßigkeit Witze über die Sitte seiner Organisation anhören musste, ihre Schaufeln als Waffe zu betrachten, vertiefte sich in seine Unterlagen.
    Mit einem Mal wurde Thomas von einem Schwindelgefühl befallen. Nicht jetzt, betete er, doch schon zogen bogenförmige Schatten wie Arkaden aus Staub vor seinen Augen auf. Dahinter hoben sich ein breites, glatt rasiertes Kinn, ein pockennarbiger, mit rötlichen Aknemalen übersäter Hals, ein blaues Kragenband und vergoldete Schulterstücke, glänzend wie ein Fluss, aus dem man Goldbarren zog. Verloren sah er sich um – die Gesichter der am Tisch Sitzenden hoben sich und bewegten sich ballonartig durch den Raum.
    Verzweiflung befiel ihn wie einen kleinen Jungen, den man auf der Autobahn zurückgelassen hatte mit dem Auftrag, sich die Gesichter der Fahrer aus den vorbeirasenden Fahrzeugen einzuprägen.
    Doch da begannen sich die Staubarkaden zu legen und der Raum klarte auf. Thomas’ Augen blieben auf Beger ruhen, und dieser sandte ihm einen Blick, in dem ein schelmisches Lächeln aufblitzte. Mit einem solchen Menschen könnte man sich glatt anfreunden, dachte Thomas. Doch dann wischte Beger das angedeutete Lächeln aus seinem Gesicht und herrschte den bemitleidenswerten Mann von der Arbeitsfront barsch an, drohte, er werde mit Dr. Ley sprechen, denn es könne ja nicht angehen, zu solch anspruchsvollen Erörterungen kleine Beamte zu entsenden, deren Allgemeinbildung sowohl die Arbeitsfront als auch Deutschland beschäme.
    »Ein Begriff von Max Weber «, schurigelte auch Weller ihn jetzt. »Schlagen Sie den Namen mal im Lexikon nach.«
    Am Ende des Seminars trat Martin Luther, Ribbentrops enger

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