Gute Leute: Roman (German Edition)
Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, zu Thomas, legte ihm den Arm um die Schulter und flüsterte ihm begeistert zu: »Herr Heiselberg, Ihr Vortrag war wunderbar. Es ist wirklich zu begrüßen, dass im Auswärtigen Amt mal eine neue Persönlichkeit in Erscheinung tritt!«
Weitere Beamte lobten die Zusammenkunft, unter ihnen sowohl Gefolgsleute von Ribbentrops als auch altgediente Kämpen des Auswärtigen Amtes, Beamte vom Schlage Wellers, welche die neue Liga hassten.
»Ihrem Modell ist es gelungen, zumindest für einen Tag, das ganze Ministerium hinter sich zu bringen«, bemerkte ein junger Beamter. »Aber machen Sie sich keine Illusionen, von morgen an werden Sie sich Feinde machen.«
Nachdem die Wehrmacht Polen besetzt hatte, gab es von vielen Seiten Anfragen, das Modell, das zu einem der meistbesprochenen Schriftsätze in ganz Deutschland geworden war, zu »kaufen«. Zwar war auch die Zahl der Gegner beträchtlich, manche bezeichneten Thomas als Scharlatan, andere einfach nur als kapitalistisches Schwein. Die Mitglieder der »Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft« verkündeten, das Modell sei eine Schande für die deutsche Wissenschaft. Aber all das war zu erwarten gewesen: Wer sich Einfluss im Auswärtigen Amt erworben hatte, fürchtete nun um seine Stellung. Auch Goebbels wandte sich gegen dieses ganze wissenschaftliche Brimborium um die Slawen und sagte, das Modell zeuge schlicht von Mutlosigkeit. Doch die Mehrheit der Seminarteilnehmer lobte die Synthese aus einer Vielzahl von Bereichen – Biologie, Kunst, Archäologie, Geschichte und Philosophie.
Im Auswärtigen Amt lobte man die neue Studie inzwischen in den höchsten Tönen und würdigte die Anstrengung, die für ihre Erstellung notwendig gewesen war. Sieben Jahre Forschungsarbeit durch Dutzende unterschiedlicher Gremien, hunderttausende von Ausgangsdaten und selbstverständlich die umfangreichen Beobachtungen und Feldstudien in Polen selbst. All das amüsierte Thomas, zumal niemand die »in Fachchinesisch formulierten Seiten« zu Gesicht bekommen hatte, jene Daten und Erkenntnisse von »Milton, Niederlassung Warschau«, die ihm angeblich bei der Abfassung des Modells gedient hatten.
Schon bald gerieten die Urheber des Modells in zunehmende Grabenkämpfe zwischen den einzelnen Ämtern und Körperschaften, die in Polen eine Funktion übernehmen sollten. Noch am Tag des Einmarsches gab Hermann Göring persönlich Anweisung, Thomas zu untersagen, sich mit Dr. Todt und dessen Leuten zu treffen. Thomas jedoch beschloss nach einigem Überlegen und nachdem er sich mit mehreren Leuten beraten hatte, die Direktive einfach zu ignorieren.
Es vergingen einige Wochen, bis Hans Frank von der Kommandantur in Krakau verlangte, das Modell sei seiner Zuständigkeit zu unterstellen, da seine Bedürfnisse die dringlichsten seien. Einiges sprach in der Tat für Franks Behauptung, und Thomas und Weller beeilten sich, den Vorstoß abzuwehren. Gegen Ende September, als die ersten Gerüchte über Greueltaten der Sowjets an den Polen aufkamen, wuchs die Wertschätzung für die prophetische Gabe der Verfasser des Modells, oder, wie es Karl Schnurre ausdrückte: »Dieser Tage gebührt einem Menschen, auch wenn er das Selbstverständliche voraussieht, Anerkennung.«
Auch aus Görings Ministerium ging die Bitte ein, die Verfasser des Modells als hochrangige Berater für den »Vierjahresplan« zugewiesen zu bekommen. Weller, berauscht von seinem Erfolg, erteilte all diesen Versuchen, »sein Modell zu kaufen«, herrisch eine Abfuhr. Im Oktober, zu einem Zeitpunkt, als die Gouverneure der Distrikte und die neu geschaffenen Behörden fieberhaft dabei waren, sich zu organisieren, wurde entschieden, Weller und Thomas nach Warschau zu versetzen. Sie sollten dort als eine Art Außenstelle des Auswärtigen Amtes fungieren und allen Organisationen, die das Modell in Anspruch nehmen wollten, beratend zur Seite stehen. Von Ribbentrop versah sie mit einem Schreiben, das genaueste Anweisungen enthielt: Sie seien Angehörige des Auswärtigen Amtes und nur aus formalen Gründen dem Gouverneur von Warschau unterstellt; das Modell sei geistiges Eigentum des Auswärtigen Amtes; jede Organisation, die sich mit einem unbotmäßigen Angebot an sie wende, »gefährde die Anstrengungen des Auswärtigen Amtes, Deutschlands Stellung in der Welt zu wahren«.
Sie bekamen ein Stockwerk in einem kleinen Bürogebäude in der Marschalkowska und zwei geräumige Wohnungen an der Nowy Świat zugewiesen.
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