Gute Leute: Roman (German Edition)
Wurzeln irgendeines slawischen Volkes suchen und noch dazu auf unserem deutschen Gebiete?«
Dieser Bruno Beger gefiel Thomas nicht. Er hatte die zwanglosen Bewegungen und die Sorglosigkeit eines Menschen, der erwartete, dass man ihm rückhaltlose Anerkennung zollte. Nicht zufällig kursierten Gerüchte, das Propagandaministerium habe vorgeschlagen, Begers Gestalt auf großformatigen Plakatwänden zu zeigen, die den Typus des vollkommenen nordischen Mannes präsentieren sollten.
»Morgen werden diese Wissenschaftler beschließen, sie seien echte Arier und wir Mongolen«, echauffierte sich der junge Doktor vom Kaiser-Wilhelm-Institut.
»Daher empfiehlt das Ihnen vorliegende Modell auch nachdrücklich, sofort nach der Übernahme Warschaus das Nationalmuseum an den Jerusalemer Alleen und das archäologische Museum im Łazienki-Park zu schließen«, erwiderte Thomas ungerührt. »Ich möchte Ihr Augenmerk auf das Kapitel ›Ausgrabungswahn und erstarkender Nationalismus‹ lenken. In den letzten Jahrzehnten graben die Polen buchstäblich überall, vor allem in der Altstadt von Warschau, um möglichst viele Belege für ihre nationale Geschichte zusammenzutragen. Erst im vergangenen Oktober veranstalteten sie eine große Zeremonie, weil sie einen neuen Teil der Altstadtmauer freigelegt haben. Daher lautet unser konkreter Vorschlag, der Liste der Intelligenz jeden Polen beizufügen, der irgendwann mit Archäologie befasst war.«
»Meine Herren«, ergänzte Weller, »es gilt der Tatsache ins Auge zu sehen, dass das polnische Reich bereits seit dem Mittelalter existiert. Ich möchte Sie auf das Kapitel hinweisen, das sich mit der polnischen Literatur befasst, vor allem auf jene Seiten, die sich mit den historischen Romanen Henryk Sienkiewicz’ beschäftigen, recht minderwertige Romane, nebenbei gesagt. Und wovon handeln sie? Von den Schlachten und Siegen ihres Reichs selbstverständlich, vor allem über die Deutschritter. Klar ist, dass sich die Polen ein ganzes Konstrukt von Beweisen für ihre historische Identität zusammengezimmert haben. Doch einerlei, es lässt sich nicht leugnen, dass die Polen Erfolge vorzuweisen haben, wie zum Beispiel die Einnahme Moskaus. Will sagen, abgesehen von dem militärischen Feldzug erwartet uns auch ein Waffengang, den wir vielleicht als ›kulturell-historisch‹ bezeichnen müssen.«
»In der Tat, in dem Kapitel ›glühende Frankophilie‹, das kulturellen Einflüssen gewidmet ist«, fügte Thomas hinzu (und stellte bei sich fest, dass dieser Weller sich bemerkenswert schnell mit dem Modell vertraut gemacht hatte und dessen Ideen so fließend referierte, als ob sie von ihm selbst stammten), »erörtert das Modell den französischen Einfluss auf die Polen. Dies kommt in der polnischen Auffassung von Demokratie und in weiteren Aspekten von erheblicher Bedeutung zum Ausdruck, die in diesem Kapitel dargelegt werden, jedoch auch in den kleinen Einzelheiten des Lebens: in der Art und Weise, in der die polnische Frau in ihrer Kleidung, ihren Manieren und sogar ihrem Sexualverhalten die Französinnen nachahmt oder in den bei polnischen Fräuleins sehr beliebten Internatsromanen.«
»Und in welcher Form soll die Tatsache, dass irgendeine junge Soschja einen frivolen Internatsschmöker liest, obgleich es der Pope nicht erlaubt, die Politik des Reiches in Polen beeinflussen?« Bruno Beger warf ihm einen gelangweilten Blick zu und klopfte mit dem Finger auf das Glas seiner Uhr.
»Wenn Verehrtester sich die Mühe machen, das Kapitel bis zum Ende zu lesen, werden Sie die Antwort erhalten«, gab Thomas zurück. »Wir sind ob aller möglichen Szenarien besorgt. Einmal angenommen, es gelingt uns, den Klerus auszuschalten, dann könnte ein alternativer Identifikationsquell die französisch-republikanische Gesinnung sein, die bereits im Volk wie auch in der Presse verankert ist, wodurch sich das demokratische Sentiment und die Treue zu einer wie auch immer gearteten polnischen Identität verheerend verstärken dürften. Unser Modell seziert Polen, wie es sich heute darstellt, und seine Empfehlungen sollten Beachtung finden, wenn man sich daran macht, die Strategie des deutschen Reiches in Polen festzulegen. Wenn wir, zum Beispiel, erklären, warum es unmöglich ist, Hunderttausende von Polen gen Osten umzusiedeln, erwarten wir, dass dem Gehör geschenkt wird. Und in dem Augenblick, in dem diese Politik Realität wird, sollte es uns die Flexibilität des Modells auch ermöglichen, konkrete Lösungen
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