Gute Leute: Roman (German Edition)
Menschen verspotten konnte, dem es gelungen war, von den Amerikanern derart wundervolle Ware zu bekommen.
Der eigene Vater verabscheute Amerika ebenfalls und hegte einen starken Groll gegen alle Staaten, die sich geschworen hatten, Deutschland nie wieder groß werden zu lassen, die korrupte Politiker und Militärs geschmiert hatten, in der Presse Lügenartikel lanciert und die Kommunisten ermutigt hatten, gegen ihr Vaterland zu demonstrieren. Und er hasste die Intellektuellen, die dekadenten Künstler aus dem Romanischen Cafe, die seiner Meinung nach die deutsche Kultur verdorben hatten. »Deutschland ist im Krieg nicht besiegt worden, behalte das immer im Gedächtnis, mein Sohn. Wir haben nicht verloren, man hat uns verkauft.«
Eisiger Wind. Da ist sein Mutter. Immer drängt sie sich in seine Erinnerungen. Mutter und Vater stehen neben ihm, heute ist Sonntag. Sie stehen dicht bei ihm, können ihn aber vor dem Wind nicht schützen. Vater sagt etwas, das vom Wind verweht wird, auch Mutters Hut fliegt plötzlich davon, ihr Haar wird zerzaust, Locken hängen ihr ins Gesicht, der Hut rollt auf die Straße und wird von einem Auto platt gewalzt. Vater blickt ihm nach. Mutter schaut Vater an. Thomas betrachtet sie beide. Weitere Wagen rollen vorüber. Wie klein sie plötzlich sind. Der erste Verlust.
»Warschau ist so armselig. Kein Wunder, dass die Slawen noch immer hoch zu Ross in den Krieg reiten.«
Thomas schien wie aus tiefem Schlaf zu erwachen und schenkte Weller einen freundschaftlichen Blick. War es ihm gelungen, die Traurigkeit aus seinem Blick zu verbannen?
»Hör mal …«, sagte Weller verträumt. »Als ich im letzten August den Herrn Minister und Dr. Schnurre bei ihrem Besuch nach Moskau begleitet habe, da war der Himmel nachts vollkommen klar und von Myriaden von Sternen übersät. Plötzlich habe ich die gewaltige Größe dieses Landes realisiert.«
Thomas lächelte. Dieser Weller, nur gut, dass er zu plaudern angefangen und ihn aus dem Würgegriff der Erinnerungen befreit hatte. Er reichte ihm die Cognacflasche, und sie stießen mit imaginären Gläsern an.
Weller erzählte ihm zuweilen von seinen Erlebnissen in der Gesandtschaft, die den Minister des Auswärtigen nach Moskau begleitet hatte, um dort das Abkommen mit den Kommunisten zu unterzeichnen. Offenbar wusste er nicht, dass alle im Auswärtigen Amt sich das Maul zerrissen über die Demütigungen, die er dort hatte einstecken müssen: Bei dem ersten Treffen, in kleiner Runde, war Weller nicht berücksichtigt worden, auch nicht bei der nächtlichen Sitzung im großen Kreis, und zu der zweiten Konferenz Ende September hatte man ihn gar nicht mehr eingeladen. »Sie haben ihn einfach in der Botschaft hocken lassen, wo er die Telegramme aus Berlin in Empfang nehmen musste …«, hatte Martin Luther gelacht und Thomas erzählt, wie begeistert von Ribbentrop von den Menschen in Moskau gewesen war, ja, dass er geschworen hatte, Stalin sei der eindrucksvollste Mann, dem er je begegnet sei, abgesehen vom Führer selbstverständlich. Weller ist zu vorsichtig, dachte Thomas, so ein Mensch wird kaum spektakuläre Erfolge erzielen und nicht zu den wirklich interessanten Treffen geladen. Es wäre sicher nicht klug, nur auf seine Protektion zu setzen. Besser, man suchte die Nähe von Karl Schnurre und Martin Luther.
»Oho, wären wir nicht Freunde, würde ich dich beneiden«, sagte er leichthin. »Wie viele solche Ereignisse hat die Welt schon gesehen?«
Weller rückte seine Brille zurecht, eine vertraute Bewegung, die ihm Zeit gab, seine Wut zu zügeln: »Ribbentrop ist in der Tat eine Zierde für alle Sekt- und Weinproduzenten«, sagte er leise.
Jetzt war klar, dass die Kränkung zu groß gewesen sein musste, als dass er sie völlig verwunden hätte. Weller hatte sich zwar bestens in die Diktion der neuen Machthaber eingefunden, doch zuweilen zeugten seine Äußerungen von einem kaum verhohlenen Widerwillen gegen die Parteigrößen. Seine konservative Haltung, seine Bildung und Verwurzelung im preußischen Beamtentum – sein Urgroßvater war politischer Ratgeber des Kaisers gewesen – und auch das Gefühl, Männern wie ihm gehöre der Staat, all dies machte es ihm schwer, sich mit der Tatsache abzufinden, dass eine Clique von Männern, die aus abgelegenen Dörfern oder, schlimmer noch, aus Orten wie Riga, Tallinn oder sogar aus Chile aufgetaucht waren, mit einem Mal in Deutschland das Sagen hatten.
Sie schritten über die Marschalkowska. Durch
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