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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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Reich für die Lebensspanne noch möglichst vieler Generationen Bestand haben wird.«
    »Ich würde den Verstand verlieren, wenn ich so über die Welt dächte«, rief Weller.
    »Im Gegenteil. Stell dir vor, die versäumte Konferenz in Moskau sei nur eine kleine Episode, wie dieses kleine Wölkchen dort. Und Stalin, den zu treffen du so begierig warst, sei eine etwas größere Wolke, mehr nicht, wie der König der Hethiter.«
    Eine Weile saßen sie schweigend da. Der Himmel bezog sich, und die hohen Straßenlaternen, die die Luftangriffe überstanden hatten, warfen ein trübes Licht auf die Straße.
    »Dieser Tag hat mich müde gemacht.« Weller erhob sich schwerfällig. »Lass uns nach Hause gehen.«
    Sie erreichten die Kreuzung Marschalkowska und Jerozolimskie, wandten sich nach links und gingen zügig in Richtung Nowy Świat. Regen prasselte herab, und sie suchten Schutz unter der Markise eines Cafés.
    »Schau dir das an.« Thomas deutete auf ein Werbebanner an der Fassade eines Hotels. »Das ist doch Werbung für Seife. Ein laufender Hirsch. Kannst du mir erklären, warum er von einem Kreis umgeben ist? Welche Art von Traum soll den Leuten hier verkauft werden: Lauf schnell und du wirst immer in einem Kreis gefangen sein?«
    Weller antwortete nicht. Er eilte unter die nächste Markise und stürzte in eine Bäckerei. Thomas lief hinter ihm her. Durch das Schaufenster sah er, wie Weller einen Laib Brot und eine Schale Pilze kaufte. Als er aus dem Laden trat, schnupperte er an dem Brot und meinte zu Thomas: »Wir werden ein wunderbares Abendessen haben. Dich erwartet ein Eintopf, wie du ihn noch nie gegessen hast.« Thomas war erstaunt, wie schnell die bekümmerte Miene von seinem Gesicht gewichen war.
    Als sie sich ihrem Haus näherten, sagte Weller: »Der Art, wie du über die Seifenwerbung gesprochen hast, entnehme ich, dass du noch immer an deiner vorherigen Tätigkeit hängst.«
    »Es ist schwer, mehr als ein Jahrzehnt, das man in ein Unternehmen investiert hat, einfach auszulöschen.«
    Konnte ein Mensch wie Weller begreifen, was ein kreativer Beruf bedeutete? Es war schwer, sich mit der Tatsache abzufinden, dass man in einem der härtesten Märkte der Welt phantastische Erfolge errungen hatte und dass sich das Ganze dann wegen irgendwelcher abstrakten Konflikte in Wohlgefallen auflöste. Schlimmer jedoch hatte ihn der Verrat durch Milton getroffen. Carlson Mailer hatten sie bestimmt eine andere Funktion zugeschustert, ihn aber, dessen Lebenswerk die deutsche Niederlassung und ihre Dependancen waren, ihn hatte man zurückgelassen, um die Kisten aus den Büros zu räumen. Und er, naiv wie er war – seine lächerliche Gutgläubigkeit war ihm erst klar geworden, als er in der Zeitung nach Stellenangeboten suchte –, hatte geglaubt, ein Teil von Milton zu sein.
    Der alte Pförtner beeilte sich, die Hände aus den Manteltaschen zu ziehen und Haltung anzunehmen. Er stieß das quietschende Eisentor auf, und schnell durchquerten sie den halbdunklen Gang, der zu einem Hof zwischen vier Gebäuden führte. Die beiden oberen Stockwerke des rechten Gebäudes waren durch die Angriffe der Luftwaffe zerstört worden. Nur das verzinkte Fallrohr der Regenrinne war unversehrt geblieben und ragte nun wie ein Mast in die Höhe. Diese Woche erst hatte dort eine Fahne gehangen. Sie wandten sich dem linken, weiß verputzten Haus zu, dessen erster Stock mit Fresken und Sgraffiti verziert war. In einer der Außenmauern war eine Nische eingelassen, in der eine Madonnenstatue stand. Aus den Fenstern fiel Licht, und gedämpfte Tangomusik war zu hören.
    Sie stiegen die Treppe hinauf. Thomas drängte Weller, ihm jetzt die erste Lektion im Russischen zu erteilen.
    »Beruhigen Sie sich, Sie sind zu ungestüm«, erwiderte Weller auf Russisch und summte fröhlich die ersten Takte der Nationalhymne: »Noch ist Polen nicht verloren.« Beide hatten sie eine Schwäche für kindlichen Humor, der die strenge Ordnung der Dinge durcheinander brachte.
    Vor den Türen im ersten Stock hingen graue Uniformhemden, an deren Aufschlägen Schlamm, Laub und feine rote Spritzer zu erkennen waren.
    Im zweiten Stock standen in Reih und Glied vier Paar Stiefel. Das rechte Paar war braun. Das Leder an der Stiefelspitze war von einer schwärzlich-violetten Schicht überzogen. Darüber, an der Türklinke, hing ein braunes, von Blutflecken gesprenkeltes Hemd. Thomas überkam der sonderbare Drang, die Stiefel umzudrehen und sich die Sohlen anzusehen.
    »Kommst

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