Gute liegt so nah...
ich nicht gerade vorhatte, einen Mann zu beeindrucken, immer meinem langsamen Trab anpassen musste. Jetzt konnte er einmal richtig rennen, was für den zufälligen Beobachter fraglos besser aussehen würde. Ich schaute auf meine Uhr. Halb sieben. Perfekt. Joe verließ jetzt sein Haus und war vielleicht schon auf der Massasoit Road unterwegs in meine Richtung. Während ich rannte und gelegentlich einem Spaziergänger oder Radfahrer zuwinkte, stellte ich mir Joes Weg durch die Stadt vor. In diesem Moment müsste er an der Kreuzung auf der Route 6 sein. Falls er Grün hatte, würde er in knapp einer Minute hier sein, bei Rot in zwei, höchstens drei Minuten.
Mr Demers war draußen vor seinem Haus und ging frühmorgendlicher Gartenarbeit nach. Er war ein Freund von Gran gewesen, und ich freute mich jedes Mal, wenn ich ihn traf. Dieser große weißhaarige Gentleman stammte aus einer der ältesten Familien auf Cape Cod, die hier schon ewig verwurzelt waren. Er wusste alles über Heimatgeschichte, von den Indianerstämmen über Schiffswracks vor der Küste bis zum Hurrikan Gloria. Gelegentlich hielt er Vorträge in der Bibliothek.
„Hallo Mr Demers!“, rief ich und winkte ihm zu.
„Guten Morgen, Millie Barnes!“, rief er mit seiner meckernden Stimme zurück. Sein Akzent war selbst für Massachusetts sehr ausgeprägt und verriet eindeutig den Neuengländer. Er richtete sich in seinem Beet auf, in dem er irgendetwas einpflanzte. „Das wird ein herrlicher Tag.“
„Ja, Sir“, erwiderte ich. Zufrieden mit mir und der Welt, sah ich erneut auf die Uhr. Joe würde jede Sekunde hier sein.
Ausgerechnet diesen Moment wählte Digger für sein Geschäft, und nicht nur das, es musste auch noch Mr Demers gepflegte Auffahrt aus Austernmuschelkalk sein.
„Nein, Digger!“, schrie ich. „Bei Fuß!“
Natürlich gehorchte er nicht. Auf keinen Fall durfte er auf Mr Demers Auffahrt machen, und schon gar nicht während der Besitzer dieser Auffahrt das Geschehen mit gerunzelter Stirn verfolgte. Ich zerrte meinen Hund weiter, bis wir uns nicht mehr auf Mr Demers Grundstück befanden. Dann ließ ich ihn los und hielt ängstlich nach einem braunen Pick-up Ausschau. Als Digger fertig war, rannten wir weiter.
Inzwischen war es sechs Uhr sechsunddreißig, und ich atmete schon ein wenig schwerer. Aber das war okay, schließlich joggte ich, und zwar schon seit siebzehn Minuten. Nur sehr gut trainierte Leute konnten dieses Tempo mühelos halten. Ich schaltete einen Gang zurück, denn ich schwitzte schon ein bisschen und wollte nicht zu sehr glühen.
Kein Joe. Wo war er? Ich lief weiter. Das Seniorenheim lag noch etwa eine Meile die Straße entlang, was mir ein angenehmes Zeitpolster verschaffte. Ich konnte diese Meile gut auf zehn Minuten ausdehnen, sogar auf zwölf, wenn es sein muste.
Ah! Ich hörte einen Pick-up. Nicht umdrehen, Millie. Ich machte zur Freude meines Hundes wieder längere Schritte. Da kam der Wagen … das musste einfach Joe sein. Ich lief und lief, der Pick-up fuhr an mir vorbei. Kein Joe.
Verdammt! Wo steckte er? Es war jetzt sechs Uhr zweiundvierzig, und er würde definitiv zu spät kommen. Vielleicht hatte er auf einen Kaffee irgendwo haltgemacht. Das war möglich, deckte sich aber nicht mit meinen Recherchen. Möglich wäre es trotzdem.
Allmählich wurde die Sache albern. Ich war außer Atem, musste aber weiterlaufen, weil es auf diesem Teil der Straße geradeaus ging und man mich von einem Wagen aus sehen konnte, bevor ich ihn hörte. Deshalb hätte es blöd gewirkt, wenn ich erst losrannte, sobald ich das Auto bemerkte. Ich verlangsamte erneut das Tempo, und wieder blieb mein Hund stehen, diesmal um zu pinkeln.
„Beeil dich, Digger“, befahl ich. Er sah mich an, wedelte mit dem Schwanz und pinkelte weiter. Beim Zusehen merkte ich, dass ich auch zur Toilette musste. Daran war dieser Kaffee schuld.
Um 6:50 Uhr liefen wir weiter, und vor uns tauchte schon das Pflegeheim auf. Mist! Ich konnte nicht daran vorbeilaufen, sonst würde ich Joe verpassen. Ich musste umdrehen und so tun, als käme ich aus der anderen Richtung. Und zwar schnell, sonst würde man mich vielleicht dabei ertappen. Mir fiel ein, dass Stephanie, Spezialistin für schwierige Heimbewohner, wahrscheinlich jetzt zur Arbeit erschien. Fing ihr Dienst nicht um sieben an? Noch ein Punkt, um den ich mir Sorgen machen musste.
Ich lief am Pflegeheim vorbei, hielt vorsichtig Ausschau und wechselte die Straßenseite. Geschafft. Niemand hatte mich
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