Gute liegt so nah...
gesehen, und ich befand mich weiter auf Joes Strecke. Oh Gott, ich kam mir so dämlich vor, und außerdem wurde es spät. Ich zwang mich zu einem fröhlichen Gesichtsausdruck und wischte mir mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. Da ich noch nicht wieder in langsamen Trott verfallen wollte, behielt ich die betont großen Schritte bei, bis meine Achillessehnen anfingen zu schmerzen. Am liebsten wäre ich stehen geblieben, um Dehnübungen zu machen und damit einer Sehnenentzündung vorzubeugen, aber das ging nicht. Wo war Joe? Wo war Joe? Meine Füße bewegten sich im Rhythmus dieser Frage. Wo. War. Joe. Wo. War. Joe. Da. War. Mister. Demers.
Na fabelhaft, er war immer noch mit Gartenarbeit beschäftigt, und jetzt beobachtete er mich neugierig.
„Alles in Ordnung mit Ihnen, Millie?“, erkundigte er sich.
„Na klar“, japste ich. „Ich jogge nur ein bisschen. Wiedersehen!“ Ich trabte an ihm vorbei.
Meine Blase war voll, und es war sieben Uhr. Ich musste vierzig Minuten gelaufen sein! Das war bestimmt Weltrekord. Meine Sehnen schmerzten. Ich verspürte ein Stechen in der linken Kniescheibe und malte mir aus, wie mein Meniskus kaputtging. Lauf weiter, trieb ich mich im Stillen an. Joe musste doch irgendwann auftauchen. Mein Atem rasselte, und ich wurde etwas langsamer. Digger, dieser treulose Köter, ging nun neben mir, weil meine Schritte so kurz geworden waren. Aber es war immer noch Joggen, und ich konnte mein Tempo sofort wieder beschleunigen, falls Joes Pick-up auftauchte.
Inzwischen hatte ich die Doane Road wieder erreicht, was bedeutete, dass ich ein weiteres Mal umdrehen musste. Mir blieb gar nichts anderes übrig, also lief ich einen Bogen, um die Richtung zu ändern.
Ist das wirklich alles notwenig? fragte ich mich. Müssen wir wirklich weitermachen? Leider lautete die Antwort Ja. Als ich mich Mr Demers Haus näherte, registrierte ich seine bestürzte Miene. Mein Gesicht fühlte sich noch heißer an, als ich errötete. Mein T-Shirt war nass unter den Armen und auf der Brust dunkel vom Schweiß. Ich versuchte Mr Demers Blick tapfer zu ignorieren und heuchelte Interesse für eine Spottdrossel.
Digger stoppte wie beim letzten Mal und wollte wieder die Auffahrt missbrauchen. Schwankend blieb ich ebenfalls stehen und schaute auf meine Uhr. Zehn nach sieben. Ich konnte nicht mehr. Meine Beine zitterten, meine Blase tat schon weh, im Fuß hatte ich einen heftigen Krampf.
Während Digger in den Giftsumach machte und ich mir mit dem Saum meines durchgeschwitzten T-Shirts das Gesicht abwischte, wodurch ich meinen erschreckend weißen Bauch entblößte, fuhr Joe vorbei. Er ging nicht einmal vom Gas. Vielleicht erkannte er mich gar nicht (hoffentlich). Aber ich hatte Pech, er schob seinen goldenen Arm aus dem Fenster und winkte, ehe er zum Seniorenheim abbog.
Ich humpelte zu meinem Wagen zurück, mit schmerzenden Achillessehnen und wahrscheinlich vor Anstrengung knallrotem Gesicht. An der Muschelkalkauffahrt schnüffelte Digger an der gleichen Stelle, an der er zuvor versucht hatte, sich zu erleichtern.
„Schönen Tag noch!“, rief ich Mr Demers zu, der mich mit verschränkten Armen aus seinem Garten beobachtete.
„Gleichfalls, Millie.“
Von wegen.
9. KAPITEL
W ie es so oft im Leben passiert, begegnete ich der Liebe, als ich am wenigsten damit rechnete.
Später am selben Tag war ich bei der Arbeit, starrte blicklos auf das Anatomie-Poster im kleinen Büro und litt unter den Nachwirkungen meines frühmorgendlichen Debakels. Da ich eine unerschütterliche Optimistin bin, versuchte ich dem Ganzen etwas Gutes abzugewinnen, nur gelang mir das wegen meiner miesen Laune nicht.
„Immerhin bist du weiter gelaufen als je zuvor“, meldete sich die Optimistin zu Wort.
„Aber Digger machte gerade hin, als Joe vorbeifuhr“, konterte meine Laune.
„Du hast bestimmt ein Pfund verloren“, ließ die Optimistin sich nicht beirren.
„Digger hat gemacht, als Joe vorbeigefahren ist“, wiederholte meine Laune. „Außerdem hat Joe deinen Bauch gesehen.“
„Dr. Barnes?“, rief Schwester Jill aus dem Flur und riss mich aus diesem inneren Streitgespräch. Wenn Jill mich Dr. Barnes nannte, musste ein Patient hereingekommen sein, denn sonst rief sie mich „Schätzchen“ oder „Süße“.
„Ja, Mrs Doyle?“, antwortete ich, dankbar für die Ablenkung.
„Ein Patient in Raum eins“, verkündete sie und steckte den Kopf mit einem breiten Grinsen und einer Krankenakte zur Tür herein.
Ich betrat Raum
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